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11. TÜRKEI ZENTRALANATOLIEN

Nachdem wir Antalya hinter uns gelassen haben, sind die warmen Tage gezählt. Wie wir mit den sich tagsüber nur knapp über dem Gefrierpunkt liegenden Temperaturen zurecht kommen, erfahrt ihr hier.

Das wilde Taurusgebirge versperrt uns den Weg nach Zentralanatolien, unserem nächsten Ziel. Einmal mehr heisst es: Höhenmeter sammeln. Und mit der Höhe kommt auch die Kälte. Vor unseren Gesichtern sehen wir unseren Atem in der eisigen Luft, die Nächte sind unter Null, das Zelt ist aussen und innen gefroren und ein Lagerfeuer abends und morgens wird essentiell. Unsere Daunenhosen und - Schuhe, die wir fast 4 Monate ungebraucht mitgeschleppt haben, können nun endlich zum Einsatz kommen .

Entlang des wunderschönen Köprü Canyon pedalieren wir immer weiter Richtung Nirgendwo und finden uns bald inmitten von Wälder und Bergen wieder. Umso dankbarer sind wir über all die hilfsbereiten Menschen, die wir treffen. Der Brotlieferwagen hält direkt neben uns und wir erhalten zwei Simit und ein Brot und beim mobilen Gemüsewagen in Kesme, dem mehr oder weniger einzigen Dorf, wird unser Abendessen mit einem Sack Vitaminen aufgepeppt. Die etwas weniger gesunden dünnen Fladenbrote bekommen wir von einer Dorfbewohnerin gratis dazu…

Wir überqueren auf einer Kiesstrasse einen einsamen namenlosen aber wunderschönen Pass auf 1800 Metern zwischen Keşme und DumanlI und rollen aufgrund des kalten Windes eher langsam hinunter auf die auf 1000m Höhe liegende zentralanatolische Hochebene. Heute ist der 24. Dezember, Heilig Abend! Hier in der islamischen Türkei merkt man von den uns bekannten Festlichkeiten nichts. Kurz nach Beyşehir finden wir ein geeignetes Plätzchen mit genügend Holz. So verbringen wir am Feuer einen kalten aber gemütlichen Abend auf unseren in Antalya erworbenen Campingstühlen und ein kurzer Anruf bei unseren Eltern erwärmt unsere Herzen. 

Der nächste Tag wird dann zu einer wahren Bewährungsprobe. Eisige Kälte und Gegenwind sind nicht unbedingt eine gute Kombination. Wir versuchen uns mit Weihnachtslieder, die Joos jahrelang mit falschen Tönen zum Besten gegeben hat, abzulenken. Dummerweise bleiben wir immer bei  «Kling Glöcklein klingelingeling, Kling Glöckchen kling! Lasst mich ein ihr Kinder, ist so kalt der Winter…» hängen. Da in der Türkei niemand in der Kälte stehen gelassen und Nächstenliebe nicht nur an 3 Tagen im Jahr praktiziert wird, müssen wir nicht lange frieren. Ein Restaurant lädt uns zum Tee ein und Tania übt sich im Stabübergeben, als jemand aus einem fahrenden Auto einen Simit hinausstreckt. Ein besseres Weihnachtsgeschenk hätten wir uns nicht erträumen können. Einfach unglaublich, diese Türken!

Am 25. Dezember erreichen wir die Grossstadt Konya, Zentrum des anatolischen Islams und Gründungsort des Mevlana Ordens mit seinen tanzenden Derwischen. Die Stadt ist viel traditioneller als das, was wir bis jetzt gesehen haben. Die Mehrheit der Frauen trägt hier ein Kopftuch und westliche Güter oder Weihnachtsdekoration findet man auf dem Bazaar keine. Dank der zahlreichen Restaurants mit vielen türkischen Spezialitäten steht aber einem Weihnachtsfestessen inklusive tradiotionellen «Überfresssen» nichts im Wege! (Danke Trea fürs Sponsoring, es war superlecker!). 


Nach den "inexistenten" Festtagen, die wir in einem warmen Hotel verbracht haben, radeln wir weiter über die zunächst flache und eher langweilige zentralanatolische Hochebene. Es gibt nicht viel zu sehen, ausser dem farbenprächtigen Spiel der rotbraunen Erde mit dem grünen Gras, ockerfarbenen Äcker und stahlblauen Himmel. Doch auch in dieser Einöde werden wir immer wieder zum Çay eingeladen. Sei es an einer Tankstelle oder zusammen mit Bauarbeitern, mit dem Staatsgetränk Nummer 1 wird nicht gegeizt. Und überall gibt es jemanden der ein wenig Deutsch kann. Wir verbessern so unsere türkisch Kenntnisse leider nicht, geniessen jedoch den Austausch, der dank unseren Dolmetschern um einiges informativer wird. Wichtigste Frage jedesmal: «Gefällt es euch in der Türkei?» Da können wir nur antworten: Ohhhhh jaaaaa!!!

Wir kommen der nächsten Attraktion, dem Tuz Gölü, immer näher. Es handelt sich um den zweitgrössten See der Türkei, einem Salzsee. In den Sommermonaten soll es an dem durch die Mineralien rosa eingefärbten See Flamingos geben. Momentan sind die Tiere ausgeflogen, die Salzkruste ist an den meisten Orten mit Wasser überdeckt und es spiegeln sich auf faszinierende Weise die am Himmel vorbeiziehenden Wolken. Über einen aufgeschütteten Damm erreichen wir das andere Ufer mit dem zu schneeweissen Bergen aufgetürmten gewonnenen Salz. Salz steht für Schutz, Glück und Reichtum. Also nehmen wir eine Handvoll und werfen es über unsere linke Schulter…Kann ja nicht schaden.

Wir wechseln unsere Richtung etwas und fahren entlang der leicht eingeschneiten Berge ostwärts durch kleine Dörfchen, finden die vom Tuz Gölü entflohenen Flamingos, und erreichen bald die skurrilen Tuffsteinformationen Kappadokiens. Es ist kurz vor Neujahr und das kleine Dörfchen Göreme platzt aus allen Nähten. Von unserem ersten Besuch 2019 haben wir ein etwas ruhigeres Ambiente in Erinnerung. Es scheint, als ob die Gutbetuchten aus aller Welt für den Start in neue Jahr hierher gereist sind. Darum sind wir froh, dass unser Cave Appartement, welches wir vor drei Jahren bewohnt und ohne Nachmieter zurückgelassen haben, immer noch leer steht. Fühlt sich an wie nach Hause kommen und entspricht genau unserer Vorstellung von Reichtum. 

Am nächsten Morgen dürfen wir das tägliche Spektakel mit den Heissluftballons bewundern. In unseren Campingstühlen und mit einem Kaffee in der Hand! Herrlich. Doch nach der Show wird unser Glück auf eine harte Probe gestellt. Tania verliert ihr Telefon auf einer 500m Strecke und trotz schneller Reaktion und Absuchen des gesamten Weges, bleibt es verschwunden. So sollte der letzte Tag im alten Jahr auf keinen Fall enden! Doch wir haben Glück und nach mehrmaligem Nachfragen bei einer am Weg liegenden Quadvermietung und einigen vergossenen Tränen, "zaubert" der unsympatische Inhaber das Telefon aus der Tasche. Das über die Schulter geworfene Salz wirkt... 

Nun steht einem entspannten Start ins neue Jahr nichts mehr im Wege. Oberhalb des Love Valley mit seinen bizarren Felsformationen und mit Sicht auf den eingeschneiten Erciyes Dagi stellen wir unser Zelt auf. Unsere Campervan-Nachbarn kommen aus Polen, Österreich, Deutschland, Holland, Frankreich, Spanien und Portugal. An einem grossen Lagerfeuer mit zahlreichen Leckereien aus ganz Europa stossen wir mit diesen wunderbaren Menschen gemeinsam auf das neue Jahr an.

Unser erste Tag im neuen Jahr ist magisch! Wir platzieren die Campingstühle in der ersten Reihe und sehen zu, wie über hundert Heissluftballons in den kalten Morgenhimmel aufsteigen. Waghalsige Ballonpiloten manövrieren ihr Flugobjekt durch den Canyon und die Passagiere kreischen entzückt. Nach knapp 2 Stunden ist das Spektakel vorüber und wir gesellen uns zum Auftauen und für einen Kaffee zu den Portugiesen in ihren auf Sommertemperatur aufgeheizten Van. Danach siedeln wir in ein günstiges, aber sehr herzliches Hotel in Ortahisar, etwas ausserhalb des Rummels, über. 

Wie bereits das letzte Mal in Kappadokien (zum Bericht von 2019), wollen wir auch dieses Mal inmitten der bizarren Felsformationen Mountainbiken (Tourdaten Kappadokien) . Wir hätten uns keinen besseren Start ins neue Jahr aussuchen können! Und auch beim zweiten Mal sind die sich in den Tuffsteinen befindenden Höhlen und Untergrundstätten mit zum Teil wahnsinnig gut erhaltenen Fresken mehr als beeindruckend. Wir fühlen uns wie in einem Märchenland. Einfach traumhaft schön und kaum in Worte zu fassen. Darum lassen wir die Bilder sprechen. 


Nun folgt der härteste Teil unserer Reise. Wir pedalieren über Kayseri weiter nordwärts Richtung Sivas. Hier wird es nochmals eine Spur kälter. Die Heringe gefrieren über Nacht im Boden an und wir können sie nur noch mit Hilfe von heissem Wasser aus der Erde lösen. Wasservorräte werden zu Eisvorräten, Gemüse und Früchte frieren durch und schaffen es auch tagsüber nicht mehr aufzutauen. Die winterliche Landschaft mit Raureif und Schnee hat durchaus seinen Reiz, die Minustemperaturen sind jedoch sehr campingunfreundlich. Wir suchen uns wenn möglich ein Dach über dem Kopf, sei es in einem der am Strassenrand stehenden Gebetshäusern, den sogenannten Mescids oder in alten Scheunen. Das Salz vom Tuz Gölü findet sich nun hauptsächlich auf den teils schneebedeckten Strassen und entfaltet nochmals seine schützende Wirkung als ein Hund (von denen gibt es hier Unmengen und sie sind nicht immer nett!) Tania durch eine Vollbremsung vom Fahrrad holt und ausser einem geschürften Knie alles heil bleibt. 

In diesen sehr kalten Tagen können wir jedoch immer auf die Unterstützung der Türken zählen. Auf dem 2010m hohen Geminbeli Pass laden uns die Schneepflüger zu einem leckeren Mittagessen ein und in Ballidere, einem kleinen Dorf vor unserem nächsten Pass holen Turgut und Güler uns zu sich ins warme Haus, machen Abendessen und wir hören zusammen auf Youtube türkische und schweizer Musik. Schade nur, dass sie sich vor allem für DJ Bobo begeistern können....

Wir fahren durch die verschneiten Berge und Strassen weiter und geniessen trotz der Kälte die Ruhe hier draussen. Unsere nächste Unterkunft haben wir in Bayburt bei Tugba, einer Warmshower Host. Die Tage bis zum warmen Bett, der warmen Dusche und dem gesponserten Abendessen im Restaurant (Danke Tugba!) werden mehr als zäh. Eine Schlafmatte hat ein Loch und das Flick-Klebeband hält bei diesen Temperaturen nicht. Joos schläft bei unter - 10 Grad auf dem gefrorenen Boden...(Danke, dass du das auf dich genommen hast, ich hätte es nicht gepackt!❤️) Wir versuchen uns jeweils in sogenannten Lokandas mit einem warmen Mittagessen aufzuwärmen oder in einer ebenfalls bitterkalten Mescid zu schlafen, die durch den ausgelegten Teppich zumindest von unten etwas isoliert. Das Wasser gefriert jedoch auch hier drinnen... Trotzdem sind wir uns einig: Die Strapazen haben sich gelohnt! Die Landschaft hier ist einfach atemberaubend schön und wir sind uns sicher: wir kommen wieder! 

Nun trennt uns nur noch ein Pass mit einem auf 2000m liegenden 4 Kilometer langen Tunnel (türkisch Tüneli 😜) vom schwarzen Meer. Die Türkei wäre nicht die Türkei, wenn wir nicht auch hier nochmals zum Çay eingeladen worden wären. Dass der nette Xaver schweizerdeutsch spricht und in Oftringen für die SBB arbeitet, hätten wir aber nicht erwartet. Gestärkt mit Tee und Suppe erklimmen wir die letzten Höhenmeter und fahren durch den doppelspurigen Tunnel auf die andere Seite. Autos treffen wir auf der gesamten Strecke keine an... Nach einer rasanten Abfahrt durch eine verschneite Landschaft erreichen wir bei Arkali das schwarze Meer wo unser Strandappartement bereits bezugsbereit ist. Geschafft! Wir sind einmal quer durch die Türkei gefahren. Im Winter! 

Jetzt gilt es noch die letzten 300km an der mit Teepflanzen bebauten Küste (der grösste Anteil des türkischen Çay kommt von hier!), bis an die georgische Grenze hinter uns zu bringen. Wir werden uns nicht gerne daran zurückerinnern... Erstens war die Strecke auf der vielbefahrenen Autobahn mehr als mühsam und zweitens hat es der Fahrradmechaniker in Rize geschafft, statt eine Bremse zu entlüften, zwei Bremsen undicht zu machen. Nur mit viel Glück und halbwegs funktionierenden Ersatzbremsen konnten wir überhaupt noch weiterfahren. Auf diesen Schock brauchen wir ein Bier. Und das kauft man in der Türkei (wo man Alkohol nicht an jeder Strassenecke bekommt) im MIGROS... Das Bier und Mustafa, der uns (nachdem wir Tanias Fahrrad endlich zurück hatten) bei sich in seinem Çay Evi (Teehaus) hat schlafen lassen, machen diesen *** Tag etwas erträglicher. Trotzdem werden wir so schnell nicht nach Rize zurückkommen... Unseren letzten Abend verbringen wir dann 10 km vor der Grenze am Kopmus Strand mit einem schönen Feuer und blicken gemeinsam auf eine fantastische Zeit in der Türkei zurück. Wir haben 2093 km zurückgelegt und 24020 Höhenmeter überwunden. Aber was viel wichtiger ist: Wir haben so viele wunderbare und herzensgute Menschen kennengelernt und finden, dass sich jeder von dieser bedingungslosen Gastfreundschaft eine Scheibe abschneiden könnte. 

Wir werden nun nach Georgien weiterziehen und hoffen, dass es dort endlich so richtig Winter wird.

Reisedaten 22.12.2022-15.1.2023

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Kommentare: 2
  • #1

    Üpu (Donnerstag, 19 Januar 2023 17:59)

    Super Fotos und intresanti brecht vo euch, freue me scho of de nächst, händ sorg ond e liebe Gruess

  • #2

    Sepp (Sonntag, 22 Januar 2023 13:27)

    Super Brecht ond imposanti Belder vo euem intressante Abentür!!Bliebed gsond ond e liebe Gruess Sepp ond Marianne