Wir sind in Georgien angekommen! Wie wir den Wechsel von Fahrrad aufs Snowboard meistern und warum alles etwas länger dauert, erzählen wir euch hier.
Unser Plan ist genau aufgegangen, denken wir anfangs zumindest... Vier Tage bevor unsere Snowboards mit dem Helikopter von Flory Kern (Tausend Dank an Flory!) aus der Schweiz einfliegen, erreichen wir Georgien. Wir merken schnell, dass hier eine andere Hierarchie auf der Strasse herrscht. Der Stärkste hat immer Vortritt! Und das sind bestimmt nicht wir! Verkehrsregeln gibt es keine und soweit wir das beurteilen können, sind die Georgier mit Abstand die schlechtesten Autofahrer, die es gibt. Die knapp 20 Kilometer inmitten von Lastwagen aus ganz Zentralasien, die von der türkischen Grenze nach Batumi führen, werden zu den schlimmsten unserer ganzen Reise!
Batumi präsentiert sich ungewohnt mit wunderschönem Wetter und frühlingshaften Temperaturen. Normalerweise regnet/schneit es in dieser Jahreszeit am schwarzen Meer fast täglich. Nun erheben sich die extravaganten Hotels, die schon fast an ein kleines Las Vegas erinnern, in den stahlblauen Himmel und reflektieren das Sonnenlicht. Gut betuchte Russen verbringen ihre Weihnachtsferien in dieser Scheinwelt (Weihnachten ist im julianischen Kalender erst am 6.1), da sie in Georgien auch jetzt während des Krieges auf unbestimmte Zeit visafrei einreisen können. Die Stimmung in der Stadt ist daher angespannt. Viele Georgier verurteilen das Auftreten der reichen Russen, doch sie sind auf das Geld der (unerwünschten) Touristen angewiesen.
Wendet man den überspitzten Bauten den Rücken zu, erreicht man das alltägliche georgische Chaos, indem sich auch unser Hostel befindet. Hier ist von dem Luxus der Strandpromenade nichts mehr zu spüren. Dafür treffen wir auf die gastfreundliche Hostelmama Dali mit ihrem Sohn Mamuli und ihren Angestellten Vovo und Katja, die aus Donezk geflüchtet sind, und werden mit traditionellem georgischem Wein und Churchkhela empfangen.
Wir wollen nur ganz kurz in der Stadt bleiben. Leider haben wir unsere Planung ohne die georgische Post, die unsere Snowboardschuhe und Helme liefern soll, gemacht. Nach einer geschlagenen Stunde anstehen, erklärt uns die junge Georgierin am Schalter mit brüchigem Englisch, dass es für die Herausgabe eines internationalen Pakets eine Personalnummer (?!?!) braucht. Und die wird vier Strassen weiter im Büro vom Revenue Service ausgestellt. Eine weitere Stunde später, besitzen wir eine Nummer auf einem mit georgischen Hieroglyphen übersäten Papier und reihen uns wieder am Ende der nicht kürzer gewordenen Warteschlange ein. Nochmals eine Stunde später, wissen wir, dass unser Paket zwar in Batumi ist, jetzt aber noch eine Extrarunde nach Tiflis machen muss, um von der Zollbehörde überprüft zu werden...Dauer ca. fünf Tage... Aber genau scheint das hier niemand zu wissen und georgischen Informationen sollte man sowieso nicht trauen. Die Nerven liegen blank und trotz vehementer Diskussion verlassen wir nach insgesamt vier Stunden die Post OHNE unser Paket... Und wir sind lange nicht die einzigen, die hier mit hochrotem Kopf hinaus stürmen...
Im Hostel angekommen müssen wir das Erlebte erst verdauen, genau wie das viele Essen, zu dem uns Dali, Vovo und Katja einladen.
Nun folgt ein fast täglicher Gang zur Post. Unser Paket hängt aber bis auf Weiteres am Zoll in Tiflis fest. Wir schlagen die Zeit tot. Einkaufen, alle Kleider waschen, Dinge reparieren und reparieren lassen, Frisör Termin, kleine Exkursionen mit dem Fahrrad zu wenig spektakulären orthodoxen Kirchen, baden im kalten Meer und Sonnenuntergänge an der Strandpromenade... Die Dame im Supermarkt weiss mittlerweile, dass wir keine Plastiksäcke wollen und der Bäcker hält bereits erti (=ein) Brot bereit, wenn er uns sieht. Wir staunen über die vielen ungesunden Lebensmittel, die teuren (zum Teil auf deutsch angeschriebenen) Import Produkte und freuen uns, dass es hier aufgrund fehlender Hygienevorschriften viele Nahrungsmittel wie Reis, Mehl, Pasta auch in Supermärkten offen zu kaufen gibt... Verwundert treffen wir auf Moscheen und lernen etwas über die osmanischen und türkischen Vergangenheit der unabhängigen Republik Adscharien, die von Batumi bis zum Goderzi Pass reicht. Nach und nach finden wir uns im Durcheinander dieser Grossstadt zurecht, doch wenn wir in der Ferne die eingeschneiten Berge des grossen Kaukasus sehen, wollen wir eigentlich nur eines: Endlich snowboarden! Damit wir sportlich nicht einrosten, versuchen wir es mit Joggen, geben aber nach dem zweiten Tag mit starkem Muskelkater und Knieschmerzen auf... Wir haben uns den Start in Georgien etwas anders vorgestellt. Zum Glück hält wenigstens die Gutwetterphase an...
Schon bald gehören wir zum Inventar des Hostels und sind Teil von der Familie. Anscheinend haben wir unbewusst ein Zimmer mit Halbpension gebucht, denn Dali lädt uns fast täglich zum Essen ein. Unsere Revanche mit selbstgemachtem Kaiserschmarrn wird dankend angenommen aber schon am nächsten Tag mit einem superleckeren Apfelkuchen von Katja getoppt...Natürlich fehlt auch Cha-cha (Schnaps), Wein und Bier nie, denn die Georgier trinken gerne im grossen Stil. Und leicht beduselt hören wir das Teekocher ähnliche Pfeiffen nicht, wenn jemand nachts die Toilettenspülung betätigt und der Boiler in unserem Bad aus unerklärlichen Gründen fast explodiert....
Nach einer Woche ist unser Paket immer noch nicht zurück aus Tiflis. Auch Flory hat keine positiven Neuigkeiten für uns. Er muss das Heliskiing im Skigebiet Goderzi wegen starkem Wind abbrechen und kommt mit unserer Tourenausrüstung und diversen Ersatzteilen, die er aus der Schweiz mitgenommen hat, zurück nach Batumi. Wir tauschen uns bei einem gemeinsamen Abendessen aus und hoffen, dass wir uns Mitte Februar in Mestia bei besseren Verhältnissen wieder treffen werden. Nun haben wir wenigstens unsere Snowboards, die aber ohne Snowboardschuhe ziemlich nutzlos sind. Und zu kaufen gibt es in Batumi leider nur Wintersportmaterial für Nostalgiker... Also warten wir weiter ungeduldig auf News von der Post.
Und endlich: Nach elf langen Tagen tut sich etwas. Mit etwas Druck von der Schweizer Botschaft in Tiflis, findet unser Paket den Weg durch die Verzollung zurück nach Batumi. Wir können es kaum glauben, als wir es endlich in unseren Händen halten und eine lächerliche Einfuhr Gebühr von 5 Franken zahlen müssen. Die georgische Bürokratie soll jemand verstehen... Hauptsache kompliziert...
Nun hält uns nichts mehr in Batumi. Nach zwei Wochen ungewolltem Stadtleben packen wir unsere Winterausrüstung, deponieren unsere Fahrräder und das restliche Gepäck bei Dali im Hostel und fahren mit dem Bus auf schlechten Strassen begleitet von noch schlechteren Musik von Dieter Bohlens alter Band "Modern Talking" in den kleinen Kaukasus. Nach 100 Kilometern und mehr als vier Stunden Fahrt erreichen wir durchgeschüttelt das Dörfchen Danisparauli. Hier folgt der nächste Rückschlag. Unser Guesthouse hat trotz Voranmeldung nicht mit uns gerechnet. Ein Gästezimmer gibt es nicht und wir schlafen im Zimmer der Mutter, deren Kleider und Medikamente überall herumliegen und dessen Türe sich nicht schliessen lässt. Die im Preis inkludierten Mahlzeiten bestehen aus im Öl angebratenen Kartoffeln, Weissbrot und Kuchen. Früchte und Gemüse kennen sie nicht. Am zweiten Tag packen wir unsere Sachen und ziehen ins Guesthouse Alaverdi um, wo wir zu einem günstigeren Preis ein tolles Wohnzimmer mit Holzofen haben und selber kochen können. Und entgegen der Information/Behauptung des Tourismusbüro in Batumi gibt es nicht nur keinen, sondern gleich mehrere kleine Supermärkte in Danisparauli, wo wir richtiges Essen kaufen können...
Und dann stehen wir endlich auf dem Snowboard! Die Bedingungen sind wie erwartet schwierig: ungünstiger Schneedeckenaufbau und es weht ständig ein fieser Wind, der den wenigen Schnee in alle Himmelsrichtungen verteilt. Unseren ersten Tag verbringen wir in dem mit zwei topmodernen Skiliften von Garaventa ausgerüsteten Skigebiet Goderzi (gebaut 2017), erkunden die verschiedenen Offpiste Varianten und finden ab und zu sogar etwas Pulverschnee. Die Tageskarte kostet lächerliche 10 Franken, was in keinem Verhältnis zu den Preisen im integrierten Resort und der G17 Bar steht, wo alles superchic und in etwa gleich teuer ist, wie in einer österreichischen Skihütte...
Nach den nicht ganz so vielversprechenden ersten Schwüngen im Schnee, starten wir unsere Erkundungstour ausserhalb des Skigebietes. Nicht dass es im Skigebiet viele Leute gehabt hätte... Doch sobald man die Felle montiert und etwas läuft ist man komplett alleine. Zudem wurde die Schneedecke im Süden viel weniger vom Wind bearbeitet und vor uns breitet sich eine unberührte, glitzernd weisse Landschaft aus, die ein paar schöne Möglichkeiten für kleinere Touren mit erstaunlich gutem Schnee bietet (Tourdaten Goderzi Explore Tour).
Jeden Morgen fellen wir, verfolgt von einem Rudel kläffender Hunde, vom Guesthouse 250 Höhenmeter und 4 Kilometer hinauf zum Skilift. Erst dann beginnt unser eigentlicher Tourentag. Der kleine Kaukasus ist viel sanfter als der grosse Kaukasus und extrem weitläufig. Die Abfahrten sind gemütlich und Hänge über 30 Grad findet man fast nirgends. Bei der aktuellen Lawinensituation ist uns dies mehr als recht. Wir unternehmen zwei weitere schönen Touren in diesem spurlosem Paradies und geniessen die Einsamkeit und den unerwartet tollen Pulverschnee (Tourdaten Goderzi Faraway Peak; Tourdaten Goderzi Easy Rides)
Das Guesthouse Alaverdi ist sehr rustikal und wurde, wie in Georgien üblich, mit mehr Improvisation als Know-how gebaut. Der Herd ist mit zwei Kabeln an eine Steckdose angeschlossen und wird mit Umlegen der Sicherung aktiviert. Fliessend Wasser gibt es nur sporadisch und manchmal funktioniert das Licht nicht... Aber das knisternde Holz im Ofen versprüht eine gemütliche Hüttenromantik und wir fühlen uns trotz/gerade wegen der kleinen Macken sehr wohl in dem kleinen Chalet.
Ab und zu haben wir Mitbewohner oder Leri und Diana (die Eigentümer) schauen auf einen Cha Cha vorbei, denn man hier zusammen mit fettigem Speck, Koblauch und Brot statt mit Salz und Zitrone trinkt. Schmecken tut es ähnlich eklig wie das bei uns bekannte Tequila Ritual... Wir verbringen lustige Abende mit georgischer und tschechischer Gesellschaft und versuchen von den Russen Backgammon zu lernen. Ob wir ihre Spielregeln nicht verstanden haben weil sie gerne schummeln oder zu betrunken waren, um richtig zu zählen, wissen wir nicht...
Wir haben Glück und während unseres Aufenthalts gibt es nochmals 20cm Neuschnee. Der erste schöne Tag nach dem Niederschlag lockt wie zu Hause zahlreiche Freerider an. Nur dass sie hier bequem und nicht sehr umweltfreundlich mit den Pistenbullys, den sogenannten Cats, zu den Spots gebracht werden, während wir auf altbewährte Weise mühsam durch den tiefen Pulver stapfen. Mit dem zusätzlichen Schnee verbessert sich glücklicherweise die Situation im gesamten Gebiet und wir können auch ein paar Powder-Abfahrten durch den lichten Wald machen. (Tourdaten Goderzi Tree Runs).
Als Abschluss am Goderzi Pass unternehmen wir eine lange Rundtour mit vier Aufstiegen und spassigen Abfahrten im fluffigen Pulverschnee (Tourdaten Goderzi Rundtour). Der Wind hat zwar wieder stark gewütet, aber mittlerweile wissen wir, wo es den Schnee hinbläst und welche Hänge vom Wind verschont bleiben. Vorbei an verlassenen, windschiefen Alpensiedlungen mit kleinen Moscheen laufen wir kilometerweit durch die einsame, glitzernde Schneelandschaft, sehen wie erwartet keine Menschenseele und geniessen die Aussicht auf die Berge an der türkischen Grenze. Wir sind dankbar, dass die Bedingungen am Goderzi Pass besser waren, als vermutet und wir ein paar schöne Tage mit gutem Schnee verbringen durften. Nach 5 Monaten Fahrradfahren war dies ein perfekter Einstieg in den Winter.
Nach zehn Tagen ist unser Bargeldvorrat aufgebraucht und es wird langsam Zeit, zurück nach Batumi zu fahren. Leri lädt uns grosszügigerweise noch auf eine gratis Nacht ein und fährt uns am nächsten Tag im Schneegestöber mit seinem Jeep bis nach Khulo. Von dort fahren wir mit dem Minibus durch die tausend Schlaglöcher zurück nach Batumi. Natürlich mit musikalischer Begleitung von Modern Talking...
Wie es nun weitergeht und ob wir in Georgien noch an einem andern Ort Schnee finden, erfahrt ihr beim nächsten Mal.
Reisezeit 15.1.- 8.2.2023
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Kindschi Beatrice (Donnerstag, 09 Februar 2023 09:21)
Na ihr habt ja wieder viel erlebt…
Naja wenn ich in einer Tena Schachtel meine Klamotten verschicken würde…wäre ich auch skeptisch und würde dies genauer prüfen �
Habe mir schon Sorgen gemacht weil ich nicht genau wusste ob ihr in Zentralanatolien steckt.
Habe dann extra nochmals eure Route studiert und war dann sehr froh, dass ihr nicht im Erdbebebgebiet gewesen seid.
So nun wünsche ich euch weiterhin viele spannende Abenteuer. Geniesst die schöne Natur.
Herzliche Grüsse Beatrice