Nach unseren ersten Snowboardtouren am Goderzi Pass machen wir uns auf den Weg in den grossen Kaukasus. Warum wir unsere Pläne komplett über den Haufen werfen und wir nicht mehr aus dem Feiern herauskommen, könnt ihr hier lesen.
In Batumi angekommen machen wir einen kurzen Zwischenstopp bei Dali, die uns dieses Mal in ihrem privaten Gästezimmer einquartiert und partout kein Geld von uns annimmt. Lange können wir nicht bleiben, denn Flory ist ebenfalls zurück in Georgien und fährt nach Mestia in den grossen Kaukasus. Wir nutzten die Mitfahrgelegenheit, packen das Gepäck in Georgian Style auf das Autodach und fahren auf der Suche nach Schnee durch die triste Landschaft Richtung Berge.
In Mestia angekommen werden wir mit den etwas anderen georgischen Standards konfrontiert. In unserem Guesthouse laufen sämtliche Wasserhähne, damit die Leitungen nicht einfrieren, gekocht wird auf dem Ofen im Wohnzimmer und der Abwasch machen wir im Badezimmer, da es in der Küche kein fliessend Wasser gibt. Im Schneegestöber freilaufende Kühe und Schweine gehören hier ebenso zum Dorfbild wie die traditionellen Steintürme (Svan Towers), die seit dem 8. Jahrhundert zu Verteidigungszwecken genutzt wurden. Die Idylle wird leider etwas durch die negative Grundstimmung der Einheimischen getrübt. Da auch hier der Winter mit den geldbringenden Touristen sehr lange hat auf sich warten lassen, wurde vielen ihrer Existenzgrundlage beraubt. Staatliche Unterstützung gibt es in Georgien in solchen Fällen keine. Um die fehlenden Einnahmen zu kompensieren, werden die Preise auf dem Markt und im Hostel willkürlich erhöht, vor allem wenn man sich weder auf georgisch noch auf russisch wehren kann...
Im Tetnuldi Skigebiet wollen wir unsere ersten Erfahrungen im grossen Kaukasus sammeln. Die überteuerte Fahrt dorthin mit unserem selbsternannten, russischen Taxifahrer dauert dank fehlendem 4x4 über eine Stunde. Auf halber Strecke montiert er an allen vier Räder Ketten und manövriert uns so mit zahlreichen Schweisstropfen auf der Stirn knapp bis zur Talstation des Resorts. Die Verhältnisse lassen leider sehr zu wünschen übrig. Bis Anfang Februar hat es fast keinen Schnee gegeben und die in den letzten Tagen knapp 50cm, die auf 30cm durch die Kälte aufgebauten Riesen-Becherkristalle gefallen sind, verheissen nichts Gutes. An allen Expositionen sind Lawinen abgegangen und nach einer kleinen (desaströsen) Schneeprofilanalyse beschliessen wir, statt einer Tour lediglich einen Spaziergang auf der Piste zu machen. Oben angekommen geniessen wir die Aussicht auf die über dem Nebel thronenden Gipfel des Mount Ushba und Tetnuldi. Wehmütig bewundern wir die schroffen Berge; schon jetzt ist klar, mit diesem katastrophalen Schneedeckenaufbau und dem wenigen Schnee werden wir in diesem steilen Gelände keine der von uns geplanten Touren realisieren können.
Auch das zweite Skigebiet in Mestia ist eine Enttäuschung. Hier hat es noch viel weniger Schnee und an Freeriden oder Touren ist nicht annähernd zu denken. Als Zeitvertreib unternehmen wir einen weiteren "Spaziergang". Zuerst müssen wir die Snowboards schultern, nachher um zahlreiche nicht zugeschneite Zwergsträucher eine Aufstiegsroute bis zur Bergstation Hatsvali suchen, ohne dabei unsere Tourenfelle zu ruinieren. Für die Rückkehr nach Mestia nehmen wir, aus Rücksicht auf unseren Splitboards und Knochen, die Skipiste und den Skilift talwärts. Nicht in unseren kühnsten Träumen hätten wir mit solch schrecklichen Verhältnissen gerechnet!
Um uns eine höhere Touren-Ausgangslage zu verschaffen, bekommen wir von Flory die Möglichkeit, die von ihm mitfinanzierte Cloud Base Hut am Fusse des mächtigen Mount Ushba zu nutzen. Ausgerüstet mit Essen für zwei Tage quartieren wir uns in der gemütlichen Hütte ein. Aber auch hier dasselbe Spiel. Die Schneeverhältnisse sind alles andere als berauschend. Weder der wunderschöne Ausblick über Mestia noch der bezaubernde Sonnenaufgang bessert daran etwas.
Die einzig mögliche flache Tour bringt uns bis unterhalb der Koruldi Seen am Fuss des Ushba. Die Abfahrt ist ein Mix aus Pulver, Pickelhart, Deckel oder Stein- und Buschlabyrinth (Tourdaten Cloud Base Hut). Uns reicht es... Wir feuern in der Hütte den Ofen ein und beginnen in dieser Abgeschiedenheit einen alternativen Plan zu schmieden. Einen Winter mit diesen Bedingungen macht für uns keinen Sinn...
Auch für Flory und sein Heliski Business läuft es nicht nach Plan. Die Verhältnisse sind einfach zu gefährlich. Er beschliesst die ganze Saison, die bis Mitte April geplant war, nach einer Woche abzubrechen und fliegt zurück in die Schweiz. Florys vorzeitiges Saisonende hat auch für uns Konsequenzen. Der Helikopter, der unser Winter-Equipment hätte nach Hause fliegen sollen, wird in die Türkei umstationiert. Somit sitzen wir in Georgien mit Fahrrad und Snowboard fest. Nun beginnt die bis jetzt anspruchsvollste Zeit unsere Reise. Es gibt viele "wenn's", "hätte" und "aber's". Plötzlich müssen wir tausend Entscheidungen auf einmal fällen und wahnsinnig viele Dinge abklären. Zum Glück lenken uns unsere Hostelmitbewohner Ulysse und Eva (Schweiz) und Julie und Dauphine (Frankreich) etwas von unseren Gedankenchaos ab. Wir schauen im kleinsten Kino der Welt den georgischen Film "Dede" und testen bei einem/zwei/drei Bier die leckeren svanetischen Gerichte (Danke Bettina für das Sponsoring). Leicht angeheitert finden wir eine erste Lösung für das Transportproblem von Snowboard und Fahrrad. Julie und Dauphine werden unser Winter-Equipment erstmals in ihrem Van nach Tiflis mitnehmen.
Mit schweren Herzen fahren wir von Mestia zurück nach Batumi, um unsere Bikes abzuholen. Ein weiters Mal finden wir bei Dali (kostenlos!) Zuflucht, ein weiters Mal werden wir bekocht und verwöhnt und ein letztes Mal nehmen wir von ihr, Mamuli, Katja und Vovo Abschied. Mit dem restlichen Gepäck reisen wir nach Tiflis, um dort unsere Fahrräder wieder startklar zu machen. Die kommenden Tage verbringen wir in den Gassen der Hauptstadt oder in der Bikewerkstatt von Davit und versuchen über viel zu teure Cargofirmen, Whatsapp/ Facebook Aufruf, soziale Medien und Kontakten von Drittpersonen einen Weg zu finden, wie wir die Snowboards zurück in die Schweiz bekommen, ohne bankrott zu gehen.
Unsere emotionale Verfassung passt sich immer mehr der nicht unbedingt fröhlichen Stimmung in der Hauptstadt an. Auch in Tiflis haben viele Russen Zuflucht gesucht, was nicht alle Georgier gutheissen. Die politische Situation ist angespannt und das nass-graue Wetter verbessert ihre und unsere Laune auch nicht... Wieder sind es Eva, Dauphine und Julie, die uns mit einer feucht-fröhlichen Geburtstagsparty für Ulysse aus unserem Tief herausholen. Auch das Wiedersehen mit Tengo und Lexo, die wir in Goderzi kennengelernt haben und die uns zu den besten Khinkalis der Stadt einladen, lenkt uns von unserem Gedankenkarussel ab.
Und dann, nach einer Woche anstrengender Nachforschungen erhalten wir endlich die erlösende Nachricht! Wir haben jemanden gefunden, der unser Winterequipment in die Schweiz bringen kann!
Bevor die Gepäckübergabe stattfinden soll, wollen wir noch ein paar letzte Tage im Schnee verbringen. Unser Winter wird nun sowieso um einiges kürzer als ursprünglich geplant. Motiviert durch die gute Nachricht reisen wir zum dritten der vier Skigebiete in Georgien. Das Skiresort Gudauri befindet sich nahe der russischen Grenze im grossen Kaukausus. Über die bekannte Heeresstrasse sind wir drei Jahre zuvor mit dem Fahrrad von unserem wunderschönen Bikepackingabenteuer zurück nach Tiflis geradelt. Nun ist die Strasse mit zahllosen, hauptsächlich aus Russland stammenden LKWs verstopft. Nicht nur auf der Strasse herrscht ein Gedränge... Die Skiisten sind voll, an der Supermarktkasse steht man rund um die Uhr an und Bewegungsfreiheit sucht man in unserem 3x8m grossen Hostel mit acht Betten, einer Küche ohne Kochherd und einem kleinen Badezimmer vergebens...
Wir mischen uns unters Volk und gönnen uns in dem grossen und ertaunlicherweise sehr abwechslungsreichen Skigebiet einen Pistentag an der Sonne. Auch der Glühwein und Après Ski Bier dürfen nicht fehlen. Wie Skiurlaub zu Hause während Weihnachten! Und fast gleich teuer...
Dass es ein unterdurchschnittlicher Winter ist, wissen wir mittlerweile. Unsere Tourenauswahl ist daher auch in Gudauri beschränkt. Trotz des Schneemangels können wir drei kleine Skitouren zu den Gipfel des Bidara und Sadzele machen (Tourdaten Gudauri) und Tanias Wunsch, ihren Geburtstag im Schnee zu verbringen, erfüllen. So stehen wir am 28. Februar verfrüht ein letztes Mal diese Saison mit unseren Splitboards auf dem Gipfel des Bidara Süd und cruisen bei frühlingshaften Verhältnissen zurück ins Tal.
In Tanias Geburtstagstreatment inbegriffen ist ein Besuch im Spa des Resorts (Danke Trea fürs Sponsoring) und ein bescheidenes Geburtstagsmenü bestehend aus Noodle Soup, Brot, Tomaten und Gurke auf dem Gang des Appartementblocks. Die richtige Feier verschieben wir auf den 1.März, denn Ulysse und Eva haben im Hostel Namaste in Tiflis eine Party mit einem leckeren Abendessen, einem selbstgebackenen Kuchen und viel Champagner organisiert. Na dann Prooooost!
Als Winterfinale fahren wir an die Freestyle Weltmeisterschaft nach Bakuriani. Das Feiern geht in die nächste Runde. Wir treffen Mar und Adria wieder, mit denen wir in Kappadokien auf das neue Jahr angestossen haben. Wir dürfen zusehen wir Jan Scherrer in der Halfpipe und Nicolas Huber im Big Air die Bronze Medaille für die Schweiz gewinnen. Und wir zelebrieren mit Ulysse, Eva, Mar und Adria Joos Geburtstag... Und das ziemlich ausgiebig...
Aber es gibt noch einen weiteren Grund für ein Fest! Wir können unser Winter Equipment an Michelle Jaquet vom Swiss Snowboard Team übergeben! Sie bringt es für uns zurück in die Schweiz! Wir möchten uns an dieser Stelle nochmals herzlich bei ihr, Therry Brunner (der den Kontakt hergestellt hat) und bei Marianne (Tanias Mami) bedanken! Ihr seid die Besten! So endet unsere Wintersaison leider bereits Anfang März. Es ist immer schwierig einen Traum aufzugeben, aber obwohl wir sehr enttäuscht sind, können wir nun etwas leichter nach vorne schauen.
Nachdem wir von Mar, Adria, Ulysse und Eva Abschied genommen haben fahren wir zurück nach Tifllis und organisieren im Namaste Hostel (im wunderbarsten doppelstöckigen Hostelzimmer der Welt 😍) unsere Weiterreise, geniessen das täglich wechselnde Frühstücksmenü von Ilia und die Gesellschaft von Gustav und Adriana. Unser ursprüngliche Plan ist leider nicht realisierbar. Am 1. März hat Aserbaidschan beschlossen, die Grenzen bis mindestens 1. Mai nicht zu öffnen. Eine Durchquerung Russlands geht nur mit einem in der Schweiz ausgestellten Visum und wir wollen unseren Pass auf keinen Fall der inkompetenten georgischen Post überlassen. Die Unruhen im Iran und das fast nicht zu erhaltende Transitvisum für Turkmenistan sind weitere Stolpersteine... Der Landweg ist also versperrt und das Flugzeug die (fast) einzige Option... Da es vielen in Tiflis gestrandeten Fahrradtouristen ebenso geht, sind Transportkartons Mangelware und werden nun statt gratis plötzlich zu absoluten Mondpreisen verkauft... Mit knirschenden Zähnen erwerben wir einen dieser superteuren Kartons und beginnen zu packen.
Unser Fazit von Georgien
Nach unseren ersten Reise in Georgien und all den wunderschönen Erinnerungen war es unser grosser Traum, nochmals im Winter zurück zukommen. Leider haben wir das Land dieses Mal komplett anders erlebt. Der fehlende Schnee,die schlechten Tourenverhältnisse und das oftmals schlechte Wetter haben es uns bestimmt nicht einfach gemacht. Aber es hängt nicht nur damit zusammen. Wir haben die Einheimische eher zurückhaltend, kalt und nicht sehr hilfsbereit erlebt (Dali, Leri, Lexo und Tengo sind da die Ausnahme). Es gab einige sehr skurrlile Vorfälle mit plötzlich nicht mehr vorhandenen Hostelreservationen, einem Rausschmiss aus einem Appartment, Falschinformationen, Mond- oder speziellen Aufpreisen für nicht georgisch oder russisch sprechende und viele unfreundliche Begegnungen mit schlecht gelaunten Georgiern. Das Land befindet sich nach Corona in einer schwierigen Zeit und der Ukarine-Krieg hat grosse Auswirkungen hier. Die Lebenserhaltungskosten sind massiv gestiegen und Unterstützung bekommt man wenig. Auf den Strassen Tiflis finden heftige Demonstrationen statt, gegen Gesetze, die dem Staat mehr Kontrolle über das Volk geben und das Land zurück in die Zeiten der Sowjetunion katapultieren. Und dann sind da noch all die Russen, die nach Georgien geflohen sind. Besonders in der Grosstädten wird oft mehr russisch als georgisch gesprochen. Und meist sind es die reichen Russen und sie führen sich nicht immer nur vorbildlich auf... Wir erkennen "unser" Georgien, wo wir 2019 die wohl schönste Zeit unseres Lebens verbracht haben, kaum wieder.
Alles in allem sind wir froh, dass wir nun weiterziehen können. Es scheint, dass unser Kontingent von Georgien einfach aufgebraucht ist.
Wohin wir nun fliegen und warum wir uns für diese Lösung entschieden haben, erzählen wir euch beim nächsten Mal.
Reisezeit 9.2-9.3.2023
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Claudia (Freitag, 07 April 2023)
Wünsche euch zwei weiterhin eine gute Reise und bin gespannt wo ihr gelandet seid.
Bei uns neigt sich die Wintersaison auch dem Ende zu und es werden wieder die Zweiräder aus dem Keller geholt�
Machends guat & hebend Sorg, lgli us Davos & frohi Oschtere�