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14. ISRAEL UND PALÄSTINA

Unser Winter ist vorbei. Vom grau nassen Georgien flüchten wir in die Wüste. Warum sich auch Joos plötzlich für Geschichte interessiert und wir uns schwerelos fühlen, erfahrt ihr hier. 

ISRAEL?! Das Land, das vor allem mit dem immer noch währenden Nahost Konflikt Schlagzeilen macht, stand nie auf unser "Must-See-Liste". Also warum sind wir hierher gekommen? Der Grund sind gut 1000 Kilometer Bikepacking Abenteuer auf dem Israel Bike Trail, der vom Norden des Landes bis ans rote Meer reicht. Eine Challenge die uns durch das religiöse Zentrum des Christentums, Islams und Judentums, drei total unterschiedliche Meere und etwas uns fast Unbekannten, genannt Wüste, führt. Und genau diesen Tapetenwechsel brauchen wir jetzt. Also nichts wie los! 

Ab unseren ersten Minuten in Israel sind wir mittendrin, statt nur dabei. Am Flughafen, sowie in ganz Tel Aviv, wird gegen die neue Siedlungspolitik demonstriert. Eine Schiesserei in den Strassen, heulende Sirenen und eine krasse Polizei- und Militärpräsenz vermitteln uns erstmals ein ziemlich mulmiges Gefühl... Doch Melanie Flury, unser Warmshowerhost klärt uns auf schweizerdeutsch über die momentane Situation in Tel Aviv auf und vermittelt uns die Grundsätze/Kuriositäten der orthodoxen (wusstet ihr, dass die Locken Aufschluss darüber geben, welchem Rabbi man folgt?!) und nicht ganz so orthodoxen Juden. Wir erfahren dass am Schiabach in Davos wahrscheinlich mehr orthodoxe Juden leben als in ganz Tel Aviv und diskutieren über Shabbat, über das superhippe Leben mit der ausgelassene Partyszene in der Grossstadt und fühlen uns, vielleicht auch wegen des göttlichen, waschechten Schweizer Gruyère, den Melanie uns zum Frühstück auftischt, bald fast wie zu Hause... Willkomen also im gelobten Land, dessen Kultur und Geschichte wir in den kommenden Wochen versuchen besser zu verstehen. 

Nachdem die Fahrräder wieder zusammengebaut sind und wir den ersten Schock an der Supermarktkasse (die Schweiz ist ein Schnäppchen gegen Israel!) verdaut haben, treten wir unsere Reise nach Jerusalem an. Ein herrliches Gefühl, wieder zurück auf dem Fahrrad zu sein! Nur unsere Popos müssen sich zuerst noch akklimatisieren... 

Der Samstag (Shabbat) wird unser neuer Sonntag. Israelis tummeln sich an ihrem freien Tag mit üppigen Picknicks im Schatten der Wälder rund um Tel Aviv. Dankend nehmen wir die Reste einer Familie an und versuchen die Knarre, die der Vater stolz an seinem Gürtel trägt, zu übersehen...in Israel ein (leider) alltäglicher Anblick. 

Unser Hauptproblem ist der Nahrungsmittel und Wassernachschub. Die Route führt hauptsächlich auf Kiesstrassen und Singletrails durch Wälder und Felder, alles abseits der Zivilisation. Die Planung ist umso wichtiger, da an Shabbat die wenigen Läden, die wir passieren, geschlossen sind. Vorwärts kommen wir nur langsam und der unerwartet hohe Anteil an perfekt geshapten Trails in der grünen Landschaft sowie unsere schönen Campspots im Wald sind weitere Gründe, es gemütliche anzugehen.    

Nach drei anstrengenden Tagen erreichen wir Jerusalem.  Eine Stadt mit geschichtsträchtiger Vergangenheit, eine Stadt, die das Judentum, das Christentum und der Islam gleichermassen als heiligen Ort betrachten, eine Stadt die bereits seit Hunderten von Jahren hart umkämpft ist und eine Stadt, die wahrscheinlich nie ihren Frieden finden wird. Mit Reiseführer bewaffnet, machen wir uns auf den Weg, um die Geschichte dieses Ortes zu verstehen. 

Bei unserer Entdeckungstour durch die Altdstadt sehen wir schwarzgekleidete, streng orthodoxe Juden an der Klagemauer wie in Trance ihre Gebete verrichten, erfahren das nicht immer respektvolle Gedränge in der Grabeskirche Jesus, beobachten wie sich Gläubiger ehrbietungsvoll über den Salbungstein werfen, hören den Ruf des Muezzins von der goldenen Kuppel der Al Haram Ash Sharif Moschee auf dem Tempelberg und verirren uns in den Strassen des Bazaars mit seinen orientalischen Kräuter-  und Weihrauchdüften. Kulturen treffen aufeinander. Kopftuch, neben Kippa und Kreuz. Die Atmosphäre in den Gassen ist friedlich, die Zukunft jedoch ungewiss. Israelis sowie Palästinenser beanspruchen Jerusalem als ihre alleinige Hauptstadt, was immer wieder zu Konflikten führt. So riegeln stark bewaffnete junge isralische Soldaten Westjerusalem (Israel) von Ostjerusalem (Westbank) ab, Zutritt für Touristen nicht gestattet. Der Streit in diesem heiligen Ort geht ständig in eine neue Runde und es scheint, dass es niemals eine vertretbare Lösung für alle geben wird.

Neben dem Nahost Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis ist auch der Holocaust ein grosses Thema. Im Holocaust Museum frischen wir unser Schulwissen auf und lassen uns von Noah, unserer Warm Shower Host, auf ihre ruhige und zurückhaltende Art die heutige Situation in Israel erklären. Holocaust hin oder her, sie ist der Meinung, dass Israel sich endlich von seiner Opferrolle und der Vergangenheit lösen sollte. Doch leider wird genau dieses Gefühl während des obligatorischen Militärdienstes (2 Jahre für Frauen, 2 Jahre und 8 Monate für Jungs) verstärkt. Und für viele ist eine Karriere in der Armee lukrativ. So erstaunt es auch nicht, dass man überall in Israels Strassen blutjunge Israelis mit Sturmgewehren antrifft. Dass die streng orthodoxen Juden von der Wehrpflicht oft ausgenommen sind und sie zudem finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten, macht sie bei den meisten Israelis nicht besonders beliebt. Jude ist eben nicht gleich Jude. Ein bisschen para- statt orthodox ist dieses Israel schon... 


Die Strassen ausserhalb der Altstadt sind modern, geschäftig und voller Imbissläden. Auf Noahs Empfehlung probieren wir einen Sabich (Pita mit Hummus und Aubergine), der den traditionellen Falafeln und dem superköstlichen Hummus mehr als das Wasser reichen kann. Essen kann man definitiv gut in Jerusalem... Teuer ist es auch...Darum Danke an Silvia und Familie für das Sponsoring


Nach zwei intensiven Tagen nehmen wir Abschied von Noah. Wir fahren raus aus Jerusalem, schieben unsere Fahrräder durch kalte Gänge und nach einigen Diskussionen mit israelischen Soldaten, ob wir mit oder ohne Fahrrad passieren können, schliesst sich hinter uns ein 8 Meter hohes Eisentor. Wir sind auf der anderen Seite der Mauer. Eine Mauer die Israel 2002 zum "Schutz der Bevölkerung" errichtet hat und es von den sogenannten Westbank abtrennt. Also Hallo aus- respektive eingezäuntes Bethlehem! Einerseits findet man hier den Ort, an dem Jesus geboren sein soll, andererseits befindet wir uns nun inmitten des berüchtigten Nahost-Konflikts. 

Im "The Walled Off" Hostel und Museum wir die Situation der Palästinensern ausführlich beschrieben, begonnen mit der Balfour Declaration 1917, in der die Briten (Sieger des 1. Weltkrieges) das Gebiet von den Osmanen (Verlierer des 1. Weltkrieg) übernahmen und entschiedenen haben, in Palästina eine nationale Heimstätte der Juden zu errichten und die dort bereits lebenden palästinensische Mehrheit zu ignorieren. Es folgten Kriege, Attentate, Friedensverhandlungen, nicht eingehaltenen Abkommen, Terror und Vertreibung. Und keine der beiden Seiten kann ihre Hände in Unschuld waschen. Mittlerweile vertreiben die Israelis mit Bulldozern und einer aggressiven Siedlungspolitik in den Westbanks Palästinensern von ihrem Grund und Boden. Sie errichten immer mehr eingezäunten isrealische Kibbutze (soziale, oft selbstversorgende Dorfgemeinschaften), die sich nun wie die Löcher eines Emmentaler Käses über das Gebiet verteilen, das eigentlich einmal der palästinensische Staat hätte werden sollen. Durch das in Israel geltende Heimkehrecht, das alle Juden der Welt eine problemlose Einbürgerung in Israel garantiert, wächst die jüdische Gesellschaft schnell an. Die Palästinenser werden immer mehr zur Minderheit... Neue Konflikte entstehen... Wir fühlen uns zwar sicher und die Palästinenser sind alle sehr freundlich und hilfsbereit, doch die Situation und deren Aussichtslosigkeit bedrückt uns. Zur Ablenkung wandern wir der berüchtigten Mauer entlang und suchen nach den Kunstwerken, die der kritische britische Künstler Banksy hier hinterlassen hat, um die Welt auf die Situation der Palästinensern aufmerksam zu machen. Wir können da nur beisteuern: MAKE HUMMUS NOT WALLS. 

Nach diesen geschichtsträchtigen Tagen in Jerusalem und Bethlehem sind wir froh, wieder zurück auf dem Fahrrad zu sein. Wir bahnen/erschleichen uns unseren Weg durch die zahlreichen israelischen Kontrollstationen in den Westbanks, die den Palästinensern durch zermürbende ID Kontrollen das Leben schwer machen...  Nun spürt man (verständlicherweise) die Spannung in der Luft und so lassen wir das politsche Wirrwarr schnell hinter uns und fliehen in die judäische Wüste. Hier gibt es fast keine Menschen und somit auch keine Konflikte. Nur ein paar Hirten mit Ziegen und grasende Kamele kreuzen unseren Weg auf dem super lässigen Sugar Trail und wir können die atemberaubende Landschaft ungestört geniessen. 

Unser Trail endet auf 400 Metern UNTER dem Meeresspiegel. Wir befinden uns am tiefsten Punkt der Erde : Am Ufer des toten Meeres! Dank dem 30 % Salzanteil fühlt man sich im Wasser fast schwerelos und wir floaten nach einer erholsamen Nacht gemeinsam mit Radler Marco aus Italien, den wir vor 4 Monaten in Meteora kennengelernt haben und der ebenfalls in Israel unterwegs ist, in den neuen Tag. Wellnessurlaub zum Nulltarif! 

Gestärkt mit drei Frühstücks (wir wurden innerhalb kurzer Zeit von zwei isrealischen Familien zum 2. und 3. Frühstück eingeladen) machen wir uns bei sengender Hitze zu dritt erfolglos auf die Suche nach den berüchtigten Wasserpools im Wadi Mishmar

Stattdessen finden wir aber nur ein murmeltierähnliches Tierchen (Rock Hyrax), einen kleinen, schweisstreibenden Klettersteig und einen sehr schönen Campingplatz inmitten des trockenen Wadis. 

Nach zwei schönen Tagen zusammen mit Marco, trennen sich unsere Wege wieder. Wir verfolgen weiter den Israel Bike Trail der uns zu der alten Festung Masada bringt, die als letzter Rückzugsort der Israelis vor der Eroberung durch die Römer galt. Da die damaligen Einwohner den Freitod einer Knechtschaft durch die neuen Herrscher vorzogen, gilt Masada für Israelis immer noch als Symbol des Willens und der Umbeugsamkeit des jüdischen Volkes. Heute bringt eine Seilbahn die zahlreichen Besucher bequem bis zu Festung hoch. 

Wir müssen uns, wie die Römer, den steilen Weg zurück von minus 400 Meter auf normale Meereshöhe hart erkämpfen. Seilbahntransport für Fahrräder kennen sie in Israel (noch) nicht. 

Doch zurück auf 0 Meter über Meer startet ein wahres Trailfeuerwerk. Beladen mit Wasser für zwei Tage folgen wir der wunderschönen Crosscountry Route auf dem Plateau mit Blick über das tote Meer südwärts und enden mit einem perfekt angelegtem Trail in En Bokek wieder am toten Meer. Hier in der Wüste erfahren wir die Einsamheit, die Trockenheit und die Schönheit die diese Landschaft zu bieten hat. Wir lernen, jeden Tropfen Wasser zu schätzen und jeden noch so kleinen Strauch als Schattenspender zu nutzen. Eine unvergessliche Erfahrung!

Wir genehmigen unseren durchgerüttelten Knochen eine weitere Floating Runde und hüpfen auf den fast ausserirdischen Salzpilzen, die hier das Ufer säumen, herum. Leider sinkt der Wasser Spiegel des toten Meeres jährlich um 1.2 Meter, da für die Bewässerung der zahlreichen Dattelpalmen enorm viel Wasser aus dem Jordan abgeleitet wird und somit sehr viel weniger im Toten Meer ankommt. Es bleibt zu hoffen, dass die momentan laufenden Projekte Früchte tragen und das Tote Meer noch nicht komplett sterben muss. 

Wie es weitergeht und was wir sonst noch über das Land Israel herausfinden, erfahrt ihr beim nächsten Mal. 

Reisezeit 9.3-19.3.2023

Unsere Route

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Kommentare: 3
  • #1

    Trea (Montag, 10 April 2023 07:50)

    Ahoi zusammen...

    Wie haltet ihr das mit dem salz auf der haut nach dem baden aus? Viiiiiiielen dank das ihr weiter geht. Es ist supi von euch zu lesen. Passt gut auf euch auf.
    Häppie posting!

  • #2

    Trails and Lines (Dienstag, 11 April 2023 12:22)

    Liebe Trea. Wir hatten super Glück und neben unserem Campspot hatte es eine warme! Süssqasserquelle. Wellnessurlaub zum Nulltarif!

  • #3

    gurkesämi (Dienstag, 11 April 2023 14:40)

    das war wieder mal ein richtiger aufteller. So toll eure beiträge. wunderschöhn die trails und die landschaft. Balfour Declaration hatte kürzlich jahrestag. ein wenig anders hatte ich die zusammenhänge im kopf, durch die infos von der rede Benjamin H Freedman im Willard Hotel im Jahre 1961.
    weitehin viel spass und danke für die tollen beiträge.