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18. ISRAEL TEL AVIV UND DER NORDEN

Israel lässt uns noch nicht weiterziehen. Warum unser letzter Tag im heiligen Land doch nicht der letzte ist und wir plötzlich alle Pläne über den Haufen werfen müssen, erfahrt ihr hier. (click here for English Version)

Die Taschen sind gepackt. Die Reifen an unseren Rädern gewechselt. Alles ist startklar bei Jamie und Mel im Wohnzimmer deponiert. Am nächsten Tag fliegt unser Flieger nach Kasachstan. Wir verbringen den letzten Nachmittag in Tel Aviv am Old Jaffa Strand und geniessen die sommerlichen Temperaturen. Doch dann kommt alles anders. Als wir zum Veloparkplatz an der Strandpromenade zurückkommen, finden wir uns in einem schlechten Traum wieder. Die Fahrräder inklusive Gepäckträger und kleinen Gepäcktaschen sind verschwunden! Gestohlen am helllichten Tag! Niemand hat etwas gesehen und anscheinend haben auch zwei Schlösser die Diebe nicht von ihrem Vorhaben abgebracht. Statt in ein paar Stunden weiterzureisen, stehen wir plötzlich vor dem Nichts und unserem Abenteuer droht das vorzeitige Aus. 

In unserer Verzweiflung kontaktieren wir Sagi, bei dem wir vor wenigen Tagen untergebracht waren. Er hilft uns die nächste Polizeistation zu finden und übersetzt am Telefon, da die Beamtin nur schlecht Englisch spricht. Geschlagene drei Stunden benötigt Joos, um den Rapport auszufüllen. Jamie leistet unterdessen Tania seelischen Beistand. Die Polizeibeamtin lässt alle Überwachungskameras (ja, von denen gibt es in Israel mehr als genug!) an der Strandpromenade überprüfen und präsentiert uns mit einem stolzen Lächeln ein Video vom Dieb wie er sorgenlos mit unseren Bikes davonrollt... Es sind die letzten Bilder unsere Fahrräder... Da nun Wochenende (in Israel bedeutet das Freitag und Samstag/Shabbat) ist, wird bis am Sonntag nichts unternommen. Wir stehen hilflos da und ahnen bereits jetzt, dass wir die Räder nie wieder sehen werden. 

Wir machen uns auf den Rückweg zu Jamie und Melanie wo wir eine schlaflose Nacht verbringen. Wie soll es nun weitergehen? Unseren Flug nach Kasachstan können wir auf alle Fälle nicht antreten. Wir kontaktieren unsere Mobiliar Versicherung, die zum Glück unkompliziert auch den pro Fahrrad sechs seitigen verfassten Polizeirapport in hebräischer Hieroglyphenschrift akzeptiert. Giorgio und Severin kümmern sich sofort um unsere Anliegen und sichern uns die von uns definierte Versicherungssumme ohne viel Bürokram zu. Vielen Dank für eueren Einsatz Giorgio und Severin! Wir sind froh, dass wir auf eine solche speditive Versicherung zählen können.

Leider deckt die Summe nicht den kompletten Schaden. Der Gepäckträger und diverse hilfreiche Tools befanden sich zum Zeitpunkt des Diebstahls ebenfalls an den Fahrräder und unsere stornierten Flugtickets werden bei einer so kurzfristigen Absage leider nicht erstattet.

 

Übers Wochenende fliehen wir zurück in unsere Wohlfühloase bei Sagi. Wir brauchen etwas Abstand um den Schock zu verdauen und unsere Gedanken zu sortieren. Seine Familie nimmt uns erneut mit offenen Armen auf und versucht alles, um uns abzulenken und aufzumuntern. Wir können an einem traditionellen Shabbat Dinner mit vielen leckeren Köstlichkeiten teilnehmen, dürfen Sagi auf eine der Avocado Plantagen begleiten und mit Sagis Eltern Ezra und Dvora einen schönen Abend mit viel Seelenfutter/leckeren Schokolädchen verbringen.

Für uns gibt es momentan nur eine Lösung: RESET und wieder von vorne beginnen. Doch zurück bei Mel und Jamie verwandelt sich unser Alptraum plötzlich in ein Märchen mit Happy End. Wir suchen bereits nach Flügen zurück in die Schweiz als uns Avi eine Nachricht schickt, die nochmals alles auf den Kopf stellt. Wir haben Avi etwa sechs Wochen zuvor auf dem Israel Bike Trail kennengelernt und er hat uns bereits geholfen, in Eilat einen Platz für unsere Fahrräder zu finden, als wir für zwei Wochen nach Ägypten gereist sind. Als er vom Diebstahl unserer Räder erfuhr, hat er die gesamte israelische Bike Community informiert. In seiner Sprachnachricht kündigt er uns gute und schlechte Nachrichten an. Die schlechte zuerst: Wir werden unsere Fahrräder mit Sicherheit nie wieder sehen. Die Diebe in Tel Aviv gehen durchorganisiert ans Werk und das Diebesgut wird sofort weiterverkauft und aus dem Land geschafft. Und er behält Recht. Am Sonntag erhalten wir die Information der Polizei, dass sie unseren Fall nicht weiter verfolgen und zu den Akten legen werden... Die gute Nachricht jedoch: Die gesamte Bike Community will uns stattdessen helfen! Sie hat ein Crowdfunding gestartet und bereits nach wenigen Stunden eine erhebliche Summe für uns gesammelt. Wir können es kaum glauben und sind komplett überwältigt von dieser Aktion! Der Ball kommt immer mehr ins Rollen, die gespendete Summe wird grösser und grösser und das Postfach von unserem Facebook und Instagram Account überquillt. Wir erhalten in dieser schwierigen Zeit von wildfremden Menschen aufmunternde Nachrichten und alle sichern uns ihre Unterstützung zu. Mittlerweile haben wir fast in jedem Ecken des Landes jemanden, der uns zu sich nach Hause einladen möchte. Statt also einen Flug zurück in die Schweiz zu buchen, sind wir nun beschäftigt, all die lieben Nachrichten zu beantworten und gemeinsam mit dem Manager vom Specialized Store von Matzman-Merutz neue Fahrräder zu finden. Denn für uns ist klar, das von der Community gesammelte Geld (am Ende waren es unglaubliche 20000 Schekel=5000Euro!) wollen wir in Israel und nicht in der Schweiz ausgeben!

So kommt es, dass wir bereits vier Tage nach dem Diebstahl stolze Besitzer von neuen Specialized Stumpjumper Bikes sind. Was für eine Achterbahnfahrt! Von am Boden zerstört bis einfach unglaublich dankbar in nur vier Tagen! Wir taufen die Räder auf den Namen Ami und Tami (Hänsel und Gretel auf hebräisch). Sie werden uns immer an die Grosszügigkeit der israelischen Bike Community erinnern. Ein riesiges Dankeschön gilt Avi, der mit Abstand grösste Trail Angel auf der ganzen Welt, der alles unternommen hat, damit wir unsere Reise so bald wie möglich fortsetzen können! Unsere Geschichte hat schnell die Runde gemacht und durch all die Präsenz in den sozialen Medien sind wir in Israel zu kleinen Berühmtheiten mutiert. Der Verkäufer im Decathlon erkennt uns sofort, der Mechaniker im Trek Store entschuldigt sich, dass er nicht auch gespendet hat und an den Strassenkreuzung im geschäftigen Tel Aviv werden wir mit "Hello Switzerland" von einem noch nie zuvor gesehenen Fahrradfahrer angesprochen. So etwas gibt es wahrscheinlich nur in Israel!

 

Obwohl wir unsere Fahrräder so problemlos ersetzen konnten, ist unsere Weiterreise immer noch auf Eis gelegt. Diverse Tools, Klein- und Ersatzteile (Danke Familie Rüegg, Üpu und Andrea fürs Sponsoring!) müssen noch organisiert werden. Doch der gravierendste Verlust war unser Elburro Gepäckträger! Da wir mir vollgefederten Mountainbikes reisen, ist der Gepäckträger der kleinen spanischen Firma die einzig sinnvolle Lösung, um die Seitentaschen mit unseren Siebensachen zu transportieren. Doch leider wird der kleine spanische Esel in Israel nicht vertrieben. Wir kontaktieren El Burro Biking, um zwei neue Gepäckträger zu bestellen. Iwan schickt uns eine Nachricht, die uns ein weiteres Mal die Sprache verschlägt. Die kleine Firma, die jeden einzelnen Gepäckträger von Hand herstellt, will uns kostenlos zwei Ersatzgepäckträger zur Verfügung stellen!

 

Stolz dürfen wir verkünden, dass wir die neuen Ambassadors von El Burro Biking sind!

 

Dies ist eine unglaubliche Ehre für uns und wir bedanken uns herzlich bei der CEO Arancha und Iwan für das grosszügige Sponsoring das uns Elburro Biking zukommen lässt. 

Bis die neuen Gepäckträger eintreffen dauert es noch etwas. Einfach in der teuren Grossstadt Tel Aviv abzuwarten ist für uns keine Option. Und da wir bereits festgestellt haben, dass Israel ein kleines Trailparadies ist, folgen wir der Einladung von Lior, der uns die Trails in Misgav (zu den Trails in Misgav) zeigen will. Mit Zug und Bus ziehen wir in den grünen Norden Israels um unsere neuen Bikes zu testen. Lior guidet uns durch die abwechslungsreichen Trails, nicht ohne dass wir von diversen Bikern gestoppt und auf unsere Geschichte angesprochen werden. Sogar die berühmte israelische Enduro World Series Fahrerin Noga Korem, die in Misgav lebt, erkennt uns auf dem Trail. Wir sie nicht... Peinlich... 

Für zwei Nächte kommen wir bei Lior unter, ziehen dann zu Amit und anschliessend zu Jiv. Wir nehmen am Dorffest teil und sehen uns ein hebräisches Schultheater von Liors Tochter, bei dem wir leider nicht eine Pointe verstehen, an. Wir posieren auf Fotos mit uns unbekannten Mountainbikern, bekommen von Tomer aus dem Bikeshop Eis und Kaffee serviert, werden von Marc zum Mittagessen eingeladen, wir biken im Rudel und sind Teil eines Videodrehs. Irgendwie kommen wir nicht zum Ausruhen! Umso mehr geniessen wir die beiden Tage bei Amit, denn Amit ist nicht zu Hause und seine Katze Ninja ist glücklicherweise nicht ganz so kommunikativ. So viele nette Menschen können auch beengend sein... Doch einmal mehr sind wir überwältigt von der israelischen Gastfreundschaft und können uns bei bestem Willen kein anderes Land vorstellen, wo man Fremde bedingungslos seine Wohnung anbietet, obwohl man gar nicht zu Hause ist. DANKE Amit und Jiv.

Nach fünf Tagen auf den Trails rund um Misgav strampeln wir in der Hitze zurück ans Meer. Dort befindet sich die alte Kreuzfahrerstadt Akko, die Napoleon im 18. Jahrhundert erfolglos versucht hat zu erobern und in der es gemäss Lior den besten Hummus gibt. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen! Wir verbringen den Nachmittag am Strand, lassen dieses Mal die angeketteten Fahrräder nicht eine Sekunde aus den Augen und nehmen ein erfrischendes Bad im Mittelmeer. 

 

Unser nächste Stopp ist der Carmiel Mountain (zu den Trails am Carmiel Mountain) bei Haifa. Dort soll es ebenfalls ein paar coole Trails haben und das Beste: Man erreicht den Berg mit einer super modernen Gondelbahn und erspart sich so einen strengen Uphill in der brütenden Hitze. Doch auch mit der Bahnunterstützung ist bei Tania die Luft raus. Während Joos mit Gabriel das sogenannte "Little Switzerland" am Carmiel Mountain unsicher macht, schläft Tania im Zelt und versucht sich zu erholen. 

Und dann endlich die erlösende Nachricht: Unsere neuen Gepäckträger werden nach dem Wochenende geliefert! Lieferort: Tanias Eltern, Schweiz. Leider war eine Sendung nach Israel nicht möglich. Somit stehen wir von einer schwierigen Entscheidung, die vor allem Tania sehr beschäftigt. Wer geht zurück in die Schweiz und holt die Gepäckträger? Da die Situation in Israel genau in diesen Tagen etwas eskaliert (was anscheinend ab und zu vorkommt und wir im Norden nicht gespürt haben) und aus dem Gazastreifen Raketen abgeschossen werden, heulen in Tel Aviv die, wie uns Melanie versichert harmlosen, Alarmsirenen damit die Menschen den nächsten Schutzraum aufsuchen können. Für uns eine beängstigende Situation, für die über 1.3 Millionen Einwohner von Tel Aviv schon fast Alltag. Neben (wieder einmal) aufflammenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, bei dem wir keine Partei ergreifen wollen und uns jedes Mal vor einer Diskussion zu drücken versuchen, wollen wir auch Jamie und Melanie, die sich mitten in ihren Hochzeitsvorbereitungen befinden, nicht noch länger stören. Unsere Sachen belagern ihr Wohnzimmer nun seit fast 3 Monaten.... Und dann sind da noch unsere Familien, die uns gerne sehen würden... So beschliessen wir schweren Herzens, dass beide von uns nicht nur einen, sondern einige tausend Schritte zurück gehen und wir gemeinsam mit dem gesamten Gepäck nach Hause reisen, um aus der Schweiz neu zu starten. Es ist die schwierigste Entscheidung, die wir je treffen mussten. Wir geniessen einen Strandtag - ohne Fahrräder - und essen uns nochmals quer durch das superleckere Sabich und Falafel Angebot (Danke Ursy und Alexandra fürs Sponsoring) in der hippen Stadt Tel Aviv. Dann verabschieden wir uns ein letztes Mal von Jamie und Mel... und hoffen auf ein Wiedersehen in der Schweiz oder irgendwo anders in Israel... Nach Tel Aviv kommen wir so schnell nicht mehr! 

Unsere Exkursion in den Nahen Osten, der aufgrund des schlechten Winters in Georgien eigentlich nur ein Plan B war, hat nun statt gedachten 6 Wochen fast 3 Monate gedauert. Wir haben viel erlebt und es war ein schmaler Grat zwischen Hochs und Tiefs... Doch nun wird es wirklich langsam Zeit, Abschied zu nehmen. Mit zwei Bikekartons, unseren Rucksäcken und 2 Seitentaschen quälen wir uns zum Bahnhof, wo wir mit dem Zug an den Flughafen fahren. Zehn Minuten vor Boarding, stehen auch wir mit unserem Gepäck am Check-in Schalter. Knappe zwei Stunden hat das Anstehen und die Befragung des israelischen Sicherheitsbeamten gedauert... Wir hetzten durch die Passkontrolle, wo wir ausnahmsweise schnell durchkommen und erreichen unser Flugzeug mit dem Last Call. Und jetzt werden wir die Distanz, für die wir mit dem Fahrrad zehn Monate gebraucht haben, in 4 Stunden zurücklegen. Ein schräges Gefühl...

Die Ankunft in der Schweiz ist holprig und frisch. Ein Gepäckstück hat den Weg ins Flugzeug nicht gefunden und der Bus von Tanias Mami will nicht richtig starten. Als der Motor endlich anspringt und wir das Fenster schliessen wollen, reissen wir die Kurbel ab und müssen mit halboffenen Fenster losfahren. Und die Temperaturen befinden sich weit unter denen von Tel Aviv... Hätte definitiv besser laufen können...

Während Joos in Davos versucht inkognito (was ihm leider nicht gelingt... Danke an die Tratschtanten der TrailCrew!) ein paar Dinge zu regeln, fährt Tania zu ihren Eltern ins Aargau. Die Wiedersehensfreude mit der Familie ist gross und entschädigen für die bittere Pille der ungewollten Heimreise. So geniessen wir ein paar Tage zu Hause und können unsere Dinge neu organisieren. Superleckeren Abendessen, Saunabesuch, Wanderungen, Fahrradtouren, Familientreffen und natürlich sehr viel Käse! Ach wie haben wir den vermisst! Vielen Dank an unsere Familien, die alles unternommen haben, dass uns eine erneute Abreise sehr schwierig fallen wird. Speziell möchten wir unseren Eltern Marianne, Sepp, Evi und Peter danken, die uns IMMER, von fern und nah, unterstützt und auch in den schwierigsten Situationen eine gute Lösung parat hat. Ein weiterer Dank geht an Sämis Bikeshop für die Organisation der neuen Bikekartons und an Bruno für die super bunten Fullmoons Skibändel! Und natürlich an alle anderen, die uns aufmunternde Worte geschickt haben. Wir hoffen ihr nehmt es nicht persönlich, dass wir nicht bei allen vorbeigekommen sind.... Wir wären sonst wahrscheinlich nie weiter gereist. Im Loch, der Werkstatt von Sepp montieren wir unsere neuen Elburro Gepäckträger an die Fahrräder, packen alles in die Kartons und ziehen weiter. 

Psssst🤫Wir waren nie da!

Wo wir nun weitermachen und ob dieses Mal alles klappt, erfahrt ihr beim nächsten Mal.

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