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19. USBEKISTAN

Endlich geht unsere Reise wieder in die richtige Richtung. Der Sonne entgegen. Wo wir unser Abenteuer fortsetzen und was wir im wilden Osten erleben, erfahrt ihr hier. 

Unsere Pläne mussten wegen der Verzögerung durch den Diebstahl, etwas abgeändert werden. Wir beschliessen die Wüste in Kazakhstan auszulassen. Mit einem Zwischenstopp in Istanbul bringt uns der Flieger direkt nach Urgench in Usbekistan. 

Die Stadt liegt in Choresmien am Amudarja River auch bekannt als Oxus, der Nil Zentral Asiens. Direkt am Fluss wächst und gedeiht alles. Die Bewässerung der zahlreichen Baumwollfelder (Usbekistan ist der 6. grösste Baumwollexporteur), Früchte- und Gemüseplantagen haben aber ihr Tribut gefordert. Die Austrocknung des nun nicht mehr durch den Amudarja Flusses gespeisten Aralsees gehört zu einer der grössten von Menschenhand verursachten Umweltkatastrophen. Wir ersparen uns den Anblick von im Sand feststeckenden Schiffen, die mittlerweile einige hundert Kilometer vom Ufer des einst viertgrössten Binnengewässers der Welt entfernt sind und tauchen stattdessen in die faszinierende Welt der alten Seidenstrasse ein. 

Sei es nun Chiwa, Xiva oder Khiva; die aus Lehmmaueren und verstampfter Erde erbaute Stadt verzaubert uns bei ihrem ersten Anblick! Itchan Kala, die Altstadt wurde liebevoll restauriert und wieder aufgebaut. Kaum betritt man sie durch eines der Tore, findet man sich in der bunten Welt der alten Seidenstrasse wieder.

Unsere Taschen mit 1 Million fast wertlosen Soom Geldscheinen (wenigstens einmal im Leben sind wir Millionäre...) befüllt betreten wir diese faszinierende Welt. In den Medresen (Schulen) wurde während der Blütezeit der Stadt gelehrt und studiert und Abu Dscha’far Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi (780 bis 850n.Chr.) hat hier den Grundstein für die (nicht bei allen Schülern beliebten) Algebra gesetzt. Wie in 1001 Nacht schlendern wir durch die bunten Gassen, beobachten die traditionelle Brotherstellung, geniessen das sehr beliebte usbekische Gelati, schwingen unser Tanzbein zu usbekischer Musik, bestaunen die fein gewobenen Teppiche und tauchen ein in die persische Kultur, die märchenhafter nicht sein könnte und uns von den berüchtigten arabischen Nächten träumen lässt, in denen Aladdin auf seinem fliegenden Teppich durch die Lüfte schwebte.

Nach zwei Tagen Märchenwelt fühlen wir uns bereit für die Realität. Und die ist hart, oder besser gesagt heiss... Die Temperaturen klettern mittlerweile auf über 40 Grad und Fahrradfahren wird zu einer ziemlichen Herausforderung. Die Durchquerung der Kyzylkum Wüste von Xiva bis zur nächsten nennenswerten Stadt der Seidenstrasse führt uns abseits von Zivilisation während 4 Tagen und 400 Kilometer an der turkmenischen Grenze stetig geradeaus. Eine Kurve sucht man vergebens. Die Strasse flimmert vor Hitze, verschmilzt mit dem Horizont und der Gegenwind trocknet nicht nur den Schweiss in unseren Gesichtern sofort, sondern pustet uns manchmal fast weg. 

Bewaffnet mit einer täglichen Ration von 6-7 Liter Wasser, die spätestens nach 2 Stunden Fahrt optimale Teewasser Temperatur haben, starten wir morgens und 5 Uhr in den Tag. In der brütenden Mittagshitze machen wir Siesta und entlasten unsere schmerzenden Popos. Essensnachschub gibt es nur spärlich in Form von Noodle Soup, Cola und Keksen. Wahrscheinlich schätzen wir darum die aus Xiva mitgebrachten und durch die Hitze vorgegarten Dosenerbsen oder Karotten in unserem Abendessen um ein Vielfaches mehr... 

Doch trotz dieser widrigen Umständen sind wir fasziniert von der Wüste. Die friedliche Morgenstimmung mit der erfrischenden Brise, die leuchtenden Sonnenuntergänge und der glitzernde Sternenhimmel lassen unsere Herzen höher schlagen. Wir bestaunen Rieseneidechsen, freuen uns über die motivierenden Hupkonzerte der usbekischen Chevrolet Damas Fahrer (und von denen gibt es mehr als genug) und die Gespräche mit anderen Radlern. Die Durchquerung der Wüste war eine Grenzerfahrung, die wir aber zusammen gut gemeistert haben und uns voller Optimismus von den kommenden Abenteuer träumen lässt. 

Der Traum wäre aber beinahe in Bukhara/Buxoro ausgeträumt gewesen. Unglücklich streift Joos ein geparktes Fahrzeug und bricht die Aufhängung seiner Ortlieb Seitentasche ab. Mit etwas Erfindergeist kann er sie mit zwei- Kompeneten-Kleber und Skibändel halbwegs befestigen. Auf die Dauer ist das aber keine Lösung. So kommen wir nicht mit bester Laune der einstigen Haupstadt des bedeutenden Khanats Bukhara und dem ehemals religiösen und spirituellen Zentrum Zentral Asiens, an. 

Erst unser tolles Hostel, eine alte Caravanserie mit hübschen Innenhof und sechs süssen kleinen Kätzchen hebt unsere Stimmung wieder. Kaum betreten wir dessen Tore, driften wir wieder ab in den Seidenstrassenzauber und verschieben unsere Sorgen auf später...

Wir besuchen die imposante "Kalon Moschee" und dessen Minarett, das Mausoleum von Ismail Samani, die "Char Minar" mit seinen vier Minaretten und schlendern durch die Gassen der Stadt bis zum "Fort Ark". Die majestätische persische Architektur und die atemberaubenden Medressen, in denen Rudaki, der Vater der persischen Dichtung, seine Poesie zu Papier brachte und Ibn Sina (Avicenna 980-1037n.Chr.) seinen Kanon der Medizin verfasste versprühen immer noch den Charme der Vergangenheit.

Nach 400 Kilometern "Nichts" in der Usbekischen Wüste geniessen wir diese farbenfrohe Welt mit den weichsten Seidenteppichen, die wir je berührt haben, den zahlreichen lustigen Überbleibseln aus der Sowjetzeit und all den Düften, die uns in den geschäftigen Straßen in unsere Nasen steigen umso mehr. Gefolgt auf unsere Keks und Coladiät in der Wüste sind die Somsa (gefüllte Teigtaschen), das Laghman (dicke Nudeln mit Gemüse und Fleisch), die weniger köstlichen Quroot (getrocknete Joghurtbällchen), die saftigen Melonen und die süssesten Aprikosen der Welt für uns eine wahre Geschmacksexplosion! Bei unserem romantischen Abendessen am Lyabi Hauz See mit einem kühlen usbekisches Bier fühlen wir uns wie die Könige oder besser gesagt: wie die Khans! 

Bei unserer Weiterreise durchqueren wird eine nicht ganz so trocke Landschaft, es bleibt aber mit Temperaturen über 40 Grad heisser als heiss. Wir machen einen Halt am seichten Ko Dakol See, der mit seinem "seichwarmen" Wasser leider nur eine dürftige Abkühlung bietet und uns neben einem spektakulären Sonnenaufgang auch eine lästige Mückenplage beschert. Nicht einmal das altbewährte Antibrumm kann die Viecher abhalten uns komplett zu verstechen...Wir flüchten ins Zelt...

Dannach durchqueren wir ein weiteres Mal Niemandsland mit einsamen Dörfern, in denen wir bei jedem Stopp wie Rockstars von neugierigen Frauen und Kindern umzingelt werden. Die Männer befinden sich alle auf dem riesigen Viehmarkt auf dem wir aber vor lauter Kühen, Ziegen und Schafen den Überblick verlieren... Wir bekommen einen vergorenen Apfelsaft geschenkt der bald seine unschöne Wirkung tut... Aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul... Unsere letzte Nacht in der usbekischen Wüste verbringen wir mit der Aussicht auf die nicht mehr ganz so fernen Berge und geniessen die laue Abendbrise die uns beim Sonnenuntergang um die Gesichter weht. Auf den Besuch der handgrossen Spinne, die sich in der Nacht zu uns gesellt und wegen der Tania fast einen Herzinfarkt erlitten hat, hätten wir aber gerne verzichtet... 

Wenn wir in letzter Zeit eines gelernt haben, ist es, dass wenn sich eine Tür schliesst oft unverhofft eine andere aufgeht (Danke Mami für die erneute Motivation aus der Ferne!) Diesesmal ist es die Türe der usbekischen Familien von Musurman. Julia, die wir im Winter in Georgien kennengelernt haben, hat per Zufall bei ihnen genau das passende Teil für unsere kaputte Ortlieb Tasche deponiert, als sie kurz nach Hause geflogen ist. Was für ein Glück! So fahren wir einen kleinen Umweg und besuchen im Örtchen Juma Musurman, seine Frau Maqsuda und ihre beiden Kinder Faruza und Elshod. Die Verständigung ist nicht ganz einfach doch sie bewirten uns sehr liebevoll, wenn jedoch mit der typisch zurückhaltenden usbekischen Art und Weise. Beim Betrachten der alten Familienfotos, fühlen wir uns in die Zeit der ehemaligen Sowjetunion zurückversetzt und können es kaum glauben, dass die Bilder zum Teil keine 10 Jahre alt sind. Und noch heute hinkt man der Moderne etwas hinterher. Das grosse Haus mit seinem prächtigen Eingangstor und schönen Innenhof verfügt zwar über zahlreiche Zimmer, doch wie an vielen Orten in Usbekistan ist fliessend Wasser für die Dusche eine Seltenheit. Die Toilette ist ein kleiner Schlitz im Boden (gutes Zielen notwendig) und die Familie schläft draussen, da die Hitze aus den Räumen nicht mehr rauszukriegen ist. Natürlich nennen auch sie einen traditionellen Chevrolet Damas ihr Eigen, mit dem wir gemeinsam auf den chaotisch verstopften Strassen zum Markt und zu dem von ihrer Familie betriebenen Restaurant fahren. Essen wird ganz gross geschrieben und wir können nicht annährend alle Shashlikspiesse, Salat, Brot, Osh/Plov (Reisgericht mit Kichererbsen, gelben Rüben, Rosinen und Poulet), Keskanosh (Suppe mit Nudeln, Yoghurt, Bohnen und Erbsen), geschweige denn die 2 Flaschen Wodka, die wir serviert bekommen, vertilgen. Wir lernen schnell, dass das bei uns anständige Aufessen hier dazu führt, dass unvermittelt ein neuer Teller vor die Nase gestellt wird. Ziemlich überfressen schwören wir uns, ab sofort bei Zucker und Fett wieder etwas kürzer zu treten...

Um unseren Stoffwechsel wieder auf Trab zu bringen radeln wir weiter und treffen bald in Samarkand, einem der wichtigsten Knotenpunkte der Seidenstrasse und heutigen Zentrum des Verkehrschaos ein. Der bekannte Eroberer Alexander der Grosse, der die Stadt 329 vor Christus einnahm, war von ihrer Schönheit beeindruckt. Auch auf Dschingis Khan (1221 n. Chr) scheint dies zugetroffen zu haben, denn während er bei seinen Feldzügen die meisten Medresen zerstört hatte, durfte das berühmte Trio am Registan Plaza stehen bleiben. Nach Xiva und Bhukara sind wir hingegen etwas übersättigt von Medresen und widmen uns zuerst dem ungewohnt farbenfrohen Shah-i-Zinda Friedhof der uns bei der schönen Abendstimmung komplett in seinen Bann zieht und den Toten eine bunte letzte Ruhestätte bietet.

Nach Alexander und Dschinggis Khan betrat Timur die Bühne, machte Samarkand 1370 nach Christus zum kulturellen wirtschaftlichen Zentrum und verewigte sich mit seinem mit viel Gold bestückten Grabmal (Gur-E-Amir Mausoleum) und der für seine Frau erbauten eindrücklichen Bibi Khanum Moschee. Wenn man die Grösse der Moschee bedenkt, muss er die Frau heiss geliebt haben... 

Die grosse Leidenschaft seines Grossenkel Ulug Begh galt der Astronomie und Mathematik und deshalb liess er seine Pflichten als Herrschers etwas schleifen, was ihn teuer zu stehen kam. Samarkand mutierte unter ihm zwar zusätzlich zu einem intellektuellen Zentrum wo sich die Studenten unter anderem in der fabelhaten Ulug Begh Medrese am Registan Platz emsig weiterbildeten, sein Streben nach den Sternen wurde aber nicht von allen gutgeheissen und nach kurzer Zeit im Amt hackte man ihm seinen gescheiten Kopf ab... Wir steuern in der Hitze auch etwas kopflos durch die grosse Stadt und versuchen uns mit einem schnell schmelzenden Gelati etwas abzukühlen... Wie gerne würden wir jetzt in einen kalten Bergsee hüpfen...

Doch der Zahn der Zeit hat auch an Smarkand genagt. Baumaterialien  wie Lehm und Ziegel sind nicht für die Ewigkeit gemacht und zahlreiche Erbeben haben den ehemals prunkvollen Gebäuden den Rest gegeben. Nur dank den Restaurationsarbeiten der letzten Jahrzehnte, vor allem nach dem Kollaps der Sowjetunion und Usbekistans Unabhängigkeit 1991, erblüht die Stadt heute wieder im neuen/alten Kleid und wird nun von massenhaft Touristen, hauptsächlich Rentnern aus Europa, überflutet...

Unsere Reize sind nach zwei weiteren Tagen Kultur und Farbenpracht ebenfalls ganz schön überflutet. So bepacken wir unsere Fahrräder, verabschieden uns vom Zauber der Seidenstrasse und der Chevrolet Damas Mafia, winken ein letztes Mal an einer usbekischen Brotverkäuferin am Strassenrad zu, deren Goldzähne in der Sonne aufblitzen und machen uns auf den Weg ins nächste Land. 

Wo wir hinradeln, erzählen wir euch beim nächsten Mal. 

Reisedaten 26.5 - 10.6.2023

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