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20. TADSCHIKISTAN PAMIR I

Wir erreichen Tadschikistan, unser Reiseland Nummer zwölf und sind endlich zurück in den Bergen! Mit welchen Herausforderungen wir im Pamir zu kämpfen haben, erfahrt ihr in den nächsten beiden Berichten.

Der Grenzübertritt von Usbekistan nach Tadschikistan gestaltet sich etwas chaotisch und langsam. Eine riesige Menschenmenge drückt in das kleinen Häuschen der Grenzkontrolle. Gemeinsam mit Jacob aus Holland versuchen wir durch dieses Nadelöhr an den Schalter und zu dem benötigten Einreisestempel zu gelangen. Auf dem obligatorischen Kamerabild befindet sich dann dank des Gedränges neben unserem mindestens noch fünf andere Köpfe... Auf den Strassen hingegen herrscht gähnende Leere. Die geschäftige usbekische Chervolet Damas Mafia wird hier durch eine gemütliche tadschikische Opelgebrauchtwagen Crew ersetzt. So fahren wir nach fast drei Stunden Anstehen an der Grenze entspannt durch die immer noch von Hand bewirtschafteten Felder in Richtung Panjakent.

Bereits auf den ersten Kilometern verlieben wir uns in das neue Land. Die Kinder stehen am Strassenrand und heissen uns mit einem freundlichen "Hello, what's your name?" und einem motivierenden Händeabklatschen willkommen. Keine Frage nach Geld und kein "Fuck you". Nach unseren schlechten Erfahrungen in Jordanien können wir in Tadschikistan unsere Meinung über freilaufende Kinder endlich revidieren... Auch der Präsident Rahmon begrüsst uns und blickt von einem der zahlreichen gefotoshopten Plakaten allmächtig auf uns herab. Mit dem Fall der Sowjetunion 1991 wurde das Land unabhängig und seit 1994 regiert Rahmon, der unstürzbare "Führer der Nation" das Ärmste der Stan-Ländern. Tadschikistan hat seinen Ursprung in der persischen Kultur und ist hauptsächlich muslimisch. Das Land liegt auf einer durchschnittlichen Höhe von 3186 Meter. Fast 90 % sind von Bergen bedeckt, viele davon zwischen 6000 und 7000m hoch. Nicht umsonst wird die auch in Tadschikistan gelegene Region Pamir das "Dach der Welt" genannt. Ein Traum für uns, ein Alptraum für eine landwirtschaftliche Nutzung. Angekommen in Panjakent gibt es für uns ein anderes böses Erwachen. Wir brauchen Geld! Und das ist in Tadschikistan gar nicht so einfach, denn unsere Master- und Maestrokarten werden in den hiesigen Geldautomaten nicht erkannt. Auf dem Gemüsemarkt (wo sonst?!) können wir vorerst einige Dollars schwarz in Somoni umtauschen, ohne zu Wissen, dass wir hier zwischen Tomaten und Gurken einen weitaus besser Kurs als auf einer offiziellen Bank erhalten. 

Gestärkt mit einem Abendbrot aus echtem deutschen Leberkäs und Bier, welches uns Martin und Ute aus dem Allgäu an unserem Campspot am Zarafshon Fluss spendieren, pedalieren wir in Richtung Berge. Nach den flachen Strecken in Usbekistan müssen sich unsere Beine erst wieder an die Steigungen gewöhnen. Was gleich bleibt, sind die sommerlichen Temperaturen die uns den Schweiss aus jeder Pore drücken.. Glücklicherweise sorgen die Tadschiken mit Wasser, frischen Non (Fladenbrote) und süssen Aprikosen dafür, dass wir bei Kräften bleiben. Kinder auf klapprigen Fahrräder feuern uns an und beflügelt von der frischen Luft schaffen wir unsere erste Bergetappe ohne grössere Probleme. 

Auf knapp 3000 Metern Höhe erreichen wir den Anzob-Tunnel, aus dessen Schlund die Abgase bedrohlich und sichtbar herausströmen. Im Volksmund heisst er Tunnel des Jüngsten Gerichts oder auch Tunnel des Todes. Er ist weder beleuchtet noch belüftet und der Untergrund ist mit tiefen Wasserlachen und Schlaglöchern gespickt. Um nicht auch dem Tod geweiht zu sein, sucht der nette Tunnelsecurity uns eine Mitfahrgelegenheit, um die knapp fünf Kilometer Distanz zu bewältigen. Unsere Bikes und wir sind dem vorsichtigen LKW Fahrer für den Shuttle durch dieses Höllenloch sehr dankbar. 

Auf der anderen Seite angelangt befinden wir uns inmitten der schönen, momentan leider verregneten Fann-Mountains. Wir heben sie uns für später auf. Zuerst geht es jetzt bergab in die unerwartet moderne Hauptstadt Duschanbe, wo wir uns für das bevorstehende Pamir Abenteuer rüsten und am einzigen Geldautomaten Tadschikistans, der neben VISA auch Mastercard und Maestro akzeptiert, endlich auf legalem Weg an Geld kommen wollen. Wir quartieren uns im Green House Hostel, dem inoffiziellen Treffpunkt für alle Pamir Reisenden, ein. Hier treffen wir auch Finn wieder, den wir bereits in Usbekistan kennengelernt haben und stossen auf den redseligen Amerikaner John. Der Innenhof ist mit Motorrädern und Fahrräder überfüllt und man erfährt die neusten Erfahrungsberichte, Gerüchte und Mythen über die von uns geplante Route... Die afghanischen Taliban, die superschlechten Strassenverhältnisse, gefährliche Flussdurchquerungen und die noch schlimmere Verpflegungssituation sind Hauptthemen. Vielleicht sollten wir uns das Ganze nochmals überlegen...

Und dann ist es soweit!. Gemeinsam mit John und übervorsichtig mit einem leicht übertriebenen Nahrungsmittelvorrat ausgerüstet, starten wir am 15. Juni in das Abenteuer Pamir, das uns in eine der entlegensten Regionen der Welt bringen soll. Seit wir im August 2022 zu Hause losgeradelt sind, träumen wir von der Route durch die Bergwelt Zentralasiens. Aufgrund der schwierigen Verhältnisse zwischen Tadschikistan und Kirgistan bleibt jedoch der Grenzübergang zwischen Karakol und Osh bis auf weiters geschlossen und wir müssen unsere Strecke etwas anpassen. Wir wählen die Nordroute (hier gehts zur unserer Pamir Route)  nach Kalai Chumb die vorerst asphaltiert ist. Wir erhalten einen Escort Service und eine herzliche Einladung zum Mittagsessen mit frische Aprikosen und Kirschen zum Dessert. Unsere mit Essen prallgefüllten Taschen werden vorerst nicht leichter.

Erst ab dem zweiten Tag werden die Dörfer spärlicher und der Strassenzustand staubiger. Vom Asphalt müssen wir uns nun, wie im Green House Hostel prophezeit, für längere Zeit verabschieden. Entgegen allen Gerüchten jedoch weiterhin kein Problem: Der Nahrungsmittelnachschub... Neben den einfachen aber mit allen Grundnahrungsmittel, Biscuits und (für John weitaus wichtiger) Eiscreme ausgestatteten Magasins oder Tankstellen, finden wir an unserem Campspot neben fliessend Wasser und einer Feuerstelle auch ein Maulbeerbaum, der unser Porridge erheblich aufwertet und der Wachmann, der unsere Permits für die autonome Pamir Region Gorno-Badakhshan kontrolliert, schenkt uns eine frische saftige Melone. Unser Vitaminbedarf ist also vorerst mehr als gedeckt auch wenn bei John die Vitamine normalerweise eher in Zuckerform auf den Teller kommen... Seine Geschichten und unendlicher Optimismus, der selbst durch eine defekte Vorderbremse (die wir ihm glücklicherweise mit unserer Ersatzbremse ersetzen können) und einem Sturz in den kalten Bach unerschüttert bleibt, machen das Reisen zu dritt zu einem wahren Vergnügen. Und bei einer solch positiven Einstellung ist es nicht verwunderlich, dass er sich durch uns nicht von dem Vorhaben abbringen lässt, als Erster die geschlossene Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgistan zu überschreiten. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Entlang des wilden Flussbeckens des Vakhsh pedalieren wir stetig bergauf Richtung Choburobot Pass in die immer noch mit wenig Schnee bedeckten Berge. Die Landschaft wird immer wilder und die Strasse zusehendes ruppiger. Die wenigen Menschen und umso zahlreicheren Esel (Elburro lässt grüssen!) leben hier einsam auf eine einfache und ursprüngliche, aber anscheinend zufriedenstellende Art und Weise. Trotz allen Entbehrungen sind sie stets freundlich, gutgelaunt und hilfsbereit. Wir sind erstaunt wie aufgeräumt die kleinen Dörfer sind. Die staubige Kiesstrasse wird mit einem Besen gereinigt und umherliegender Abfall sucht man fast vergebens. Diverse Hilfsorganisationen aus ganz Europa (auch aus der Schweiz) haben geholfen, die abgelegenen Siedlungen mit einem funktionierenden Wasser- und Stromnetz auszustatten. Als Konsequenz findet man sogar auf knapp 2700m Höhe ein Plumpsklo, indem wir für die restlichen 500 Höhenmeter etwas von unserem Ballast abwerfen können.

Die letzten Höhenmeter haben es auch nach verrichtetem Geschäft in sich. Leider zünden wir den von John sogenannten Potatoe Push, kurz genannt PP, etwas zu früh und unsere Beine übersäuern bereits vor dem Ziel. Mit letzter Kraft kämpfen wir uns auf den 3252m hohen Choburobot Pass. 

Oben angekommen durstet es uns nach einer Belohnung. Ein Bier wäre ganz angebracht. Wider aller Erwartungen werden unsere Gebete erhört! Bruno und Rosi, zwei Deutsche Camper, drücken uns je eine kühles Blondes in die Hand und wäre das nicht schon genug des Guten, spendiert uns kurz darauf ein russisches Pärchen einen Jägermeister. Na dann Proooooost!!! Unsere extra zur Feier des Tages 1600 Höhenmeter hochgeschleppte Melone gerät bei all dem Alkohol fast in Vergessenheit. 

Leicht angeschwipst treten wir die Abfahrt nach Kalai Chumb an. Der Spassfaktor auf der mit Schlaglöchern durchsetzten Kiesstrasse ist riesig und wir vernichten in einer atemberaubenden Landschaft Höhenmeter um Höhenmeter. Unsere Mountainbikes fliegen nur so dahin aber auch Johnn kann es nicht schnell genug gehen, denn im Tal wartet bereits ein leckeres Eiscreme auf ihn.

In Kalai Chumb erreichen wir erstmals den Fluss Pandsch, die natürliche Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan. Nachdem unsere Essenvorräte (zurückhaltend) wieder aufgestockt sind und John seine obligatorischen zwei Eiscremes verschlungen hat, starten wir unsere Etappe entlang der afghanischen Grenze, die uns mit ihren grünen Flächen und einfachen Siedlungen so gar nicht bedrohlich erscheint. Obwohl 2018 vier Radfahrer (darunter auch ein Schweizer) hier in der Region ermordet wurden, fühlen wir uns sehr sicher. Tadschikische Militärpatrouillen bewachen das Gebiet, damit es zu keinen Übergriffen kommt. Nur der Strassenzustand lässt zu wünschen übrig. Die Chinesen versuchen hier den Pamir Highway auszubauen, was auf einem 240 Kilometer langen Abschnitt zwischen Kalai Chumb und Khorog zu erheblichen Behinderungen und Strassensperrungen führt. Bereits nach wenigen Kilometer Fahrt werden wir gestoppt weil nur ein paar Minuten später tonnenschwere Felsbrocken gleich vor uns auf die Strasse donnern und ein Durchkommen für alle Vehikel ausser Fahrräder unmöglich macht. Die Gefahr kommt hier defintiv nicht von der afghanischen Seite! Das kann ja heiter werden...

Da der Hauptteil der Baustelle gemäss Auskunft aus dem Green House Hostel nur für gewisse Stunden für den Verkehr geöffnet sein soll und wir es mit den Fahrräder unmöglich in der Zeit hindurch schaffen, halten wir am nächsten Morgen um 6 Uhr einen LKW an, um schneller vorwärts zu kommen. Die Fahrräder und John (freiwillig wohlbemerk) auf der Ladefläche des Zementlasters und wir bequem im Führerhaus bewältigen wir in knapp drei Stunden ganze 30 Kilometer... John verschläft auf den anscheinend bequemen Zementsäcken das halbe Spektakel. Der Staub und das Geschüttel stören ihn nicht... Nach einer Reifenpanne und nachdem uns Marielle und Henning mit ihren Fahrräder ein weiteres Mal überholen, beschliessen wir, auch wieder auf unsere Bikes umzusteigen. So wird aus der dreier Gruppe eine lustige fünfer Gruppe.

Gemeinsam radeln wir auf der haarsträubenden Strasse Richtung Khorog. Die LKWs können sich an vielen Stellen zwischen Felswand und Fluss kaum kreuzen, Trucks überhitzen oder bleiben stecken, Steinbrocken und Wasserlöcher versperren den Weg und die vorüberfahrenden Fahrzeuge hüllen uns in eine dicke Staubwolke. Die Begeisterung der Restaurantbesitzer als wir in deren Pool den Dreck von unseren Beinen waschen, hält sich in Grenzen, ebenso wie die der tadschikischen Grenzpatrouille, als sie unser Nachtlager direkt am Ufer des Pansch mit einem nur mässigen Sichtschutz vor den Taliban erblicken. Aus Sicherheitsgründen fordern sie uns abends um 10 Uhr auf, das Lager abzubrechen. Nach langer Diskussion und mit dem Versprechen keine Taschenlampen mehr zu benutzen, dürfen wir dann doch bis zum nächsten Morgen bleiben... 

Die Strasse bleibt auch in den nächsten beiden Tagen eine Herausforderung. Die Strassensperren zwischen 7 Uhr morgens und 6 Uhr abends gelten jedoch anscheinend nur für motorisierte Fahrzeuge. So kommen wir trotz allem schneller vorwärts als gedacht. Nach unserem letzten Camp direkt an einem kalten Betonpool mit einem erfrischenden Bad, erreichen wir nach 8 Tagen und etwa 530km unsere erstes Zwischenziel Khorog auf 2000 Metern Höhe. Hier gönnen wir uns alle einen wohlverdienten Pausentag und waschen endlich unsere verdreckten Kleider.

Wie es uns auf dem zweiten Teil unseres Pamir Abenteuers ergeht, erfahrt ihr im nächsten Beitrag.

Reisedaten 10.6 bis 22.6.2023

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