Hier folgt der zweite Teil unseres Pamir Abenteuers! Über den Wakhan Korridor und die M41 radeln wir ans gefühlte Ende der Welt in Karakol und finden über das Bartang Tal unseren Weg zurück in die Zivilisation.
Unsere Reisegruppe splittet sich ab Khorog in drei Expeditionsgruppen. Team 1 "Marielle und Henning" versuchen die traditionelle M41 Pamir Highway Route. Team 2 "John" braucht noch einen zusätzlichen Pausentag, um sein Eiscreme Defizit nachzuholen und wir als Team 3 machen uns auf den Weg in den Wakhan Korridor. Der 17km bis 60km breite Streifen, der den Pamir vom Hindukusch Gebirge trennt ist das Resultat des sogenannten "Great Games" zwischen Russland und Grossbritannien. Die beiden Grossmächte versuchten Ende des 19.Jahrundert ihre Vormachtstellung in Zentralasien zu sichern und kreierten diese Pufferzone in Afghanistan, die den russischen Einflussbereich bis Tadschikistan und den britischen bis zur ehemaligen Kolonie Indien/Pakistan voneinander trennen sollte. Wir folgen also diesem inszenierten Grenzverlauf und tauchen nach der letzten grösseren Siedlung Isckhoschim in das Bergpanorama des nahen und doch unerreichbaren Hindukuschs ein.
Die kaum befahrene Route auf der holprigen Kiesstrasse enttäuscht uns nicht. Wir staunen über die nach jeder Kurve neu hervorblitzenden vergletscherten Gipfel des mächtigen Hindukuschs...und über die auf dem Autodach mitfahrenden Schafe, die uns einen hilflosen Blick zuwerfen... Sachen gibts...
Gestärkt mit einem kühlen RC Cola (Danke Beatrice und Luca fürs Sponsoring) und knackigen 80 Kilometern in den Beinen kämpfen wir uns die letzten 8 Kilometer und 500 Höhenmeter zu den heissen Quellen von "Bibi Fatima" hoch. Wie im Kochtopf schmoren wir im knapp 40 Grad warmen Wasser vor uns hin und und entspannen unsere komplett übersäuerten Muskeln. Im Wellnessprogramm inklusive sind Tee, Biscuits und Bonbons, die uns die fürsorgliche Bademeisterin grosszügig auftischt. Wir stürzen uns wie ausgehungerte Tiere auf die Zuckerbomben und verschlingen unser "Abendessen" im stillen Gedenken an John, für den dies eine vollwertige Mahlzeit gewesen wäre. Dann suchen wir von dem von vielen bereits angekündigten starken Wind des Pamirs Zuflucht im nahen Yamchun Fort und kriechen todmüde in unsere Schlafsäcke.
Am nächsten Morgen erwartet uns ein traumhafter Sonnenaufgang mit Sicht auf die Bergspitzen im fernen Afghanistan und Pakistan. Ein anständiges Frühstück und der wohl schönste Platz für eine morgendliche Yogasession bringt uns gestärkt wieder auf die Strasse. Weiter geht der Spass auf der holprigen Wellblechpiste!
In Zong füllen wir unsere Vorräte nochmals auf. Ab hier folgt bis ins 130 Kilometer entfernte Alichur keine Zivilisation mehr. Der erste Teil des Anstieges zum 4320m hohen Kargush Pass ist zäh und die am Morgen gewonnen Kräfte schwinden schnell. Auch die Atmung geht dampflockartig, denn mittlerweile befinden wir uns auf einer Höhe von knapp 3300 Metern. Die Luft wird langsam dünner...
Der Start in den nächsten Tag beginnt mit einer Flussdurchquerung, von der wir bereits viele Schauergeschichten gehört haben. Unsere Angst ist unbegründet. Der Fluss ist am frühen Morgen noch zahm wie ein Lämmchen... Das Wasser von oben bremst uns hingegen doppelt aus. Auf dem langgezogenen anstrengenden Schotterweg müssen wir uns zwei Mal unterstellen, um dem stärksten Niederschlag zu entgehen. Als sich erneut dunkle Wolken über uns zusammenbrauen, der kalte Wind immer stärker um unsere Ohren pfeift und sogar die afghanischen Kamelkaravanen ihre Zelte hastig abbrechen, suchen wir Unterschlupf in der vielversprechenden mit "Modern Tolking" angeschriebenen Schutzhütte. Entgegen der Anpreisung aussen ist es innen nicht ganz so "Modern" aber zum "Talken" kommen wir dank den am späten Nachmittag noch dazustossend drei Kanadiern mehr als genug. Der trockene und windsichere Unterschlupf waren uns die 40 Somoni (3.50 Fr), die uns tadschikischen Soldaten nach hartem Verhandeln unverschämter Weise pro Person abnehmen, mehr als wert. Von wegen "Free Tourist Shelter"!
Am nächsten Morgen haben wir das Schlimmste überstanden. Die Wolkendecke lichtet sich und wir nehmen die letzten Höhenmeter auf den Kargush Pass in Angriff. Auf 4320m angekommen pfeifen die Murmeltiere uns ihre Willkommensgrüsse entgegen. Aber wir wollen noch höher hinaus! Zu Fuss und schwer atmend erklimmen wir einen unbenannten Gipfel auf knapp 4500m und geniessen ein letztes Mal den Anblick des Hindukuschs bevor wir uns endgültig den westlich gelegenen Bergen des Pamirs widmen. Nach einer rasanten Abfahrt auf der unsere vollgefederten Mountainbikes sich endlich wieder einmal heimisch fühlen, stellen wir unser Zelt am frühen Nachmittag in der unglaublich schönen und einsamen Landschaft des Pamirplateaus auf und verlieren uns in der Weite der unberührten Natur.
Zurück auf dem Asphalt der M41, zünden wir am nächsten Tag den Turbobooster. Nach einem kurzen Verpflegungsstopp in dem spärlich bewohnten Pamiri Dorf Alichur mit einem top ausgestatteten Supermarkt, in dem man neben Windeln, Melonen und Tomaten auch neue Fahrradreifen und (für John wahrscheinlich wichtiger) Eiscreme erstehen könnte, schaffen wir auf der geteerten Strasse spielend 130 Kilometer. Grund dafür ein Umstand, in dessen Genuss wir bis jetzt eher selten gekommen sind: Wir haben Rückenwind und sausen darum nur so an der atemberaubenden Landschaft vorbei...
Am späten Nachmittag kommen wir in dem auf 3600 Metern gelegenen Dörfchen Murghab an. Hier vereinen wir uns wieder mit Team 1. Gemeinsam mit Marielle und Henning quartieren wir uns im gemütlichen Guesthouse Aruf ein, wo wir uns bei dem leckeren von der Guesthouse Mama zubereiteten Abendessen über die bevorstehenden Etappen und das Verbleiben von Team 3 unterhalten. Wir beschliessen, uns einen zusätzlichen Pausentag zu gönnen und streifen tags darauf durch das knapp 7000 Einwohner grosse Dörfchen. In diesem abgelegenen Winkel des Landes weichen die persischen Gesichtszüge den mongolischen. Die Menschen nennen sich selbst Pamiri und leben traditionell von der Yak- oder Ziegenhaltung. Auf dem Containermarkt gibt es daher neben gefälschten Designerschuhen und überdimensionierten Karotten auch hübsch gestrickten Yaksocken und Yakjoghurts zu kaufen. Das säuerliche Milchprodukt hat es vor allem Joos und Marielle angetan. Bleibt abzuwarten, was ihre Verdauung davon hält. Vielleicht müssen wir noch einen weiteren Pausentag anhängen...
Das Yoghurt richtet wie durch ein Wunder keinen Schaden an und wir können am nächsten Tag gemeinsam mit Marielle und Hennig weiterziehen. Voller Tatendrang pedalieren wir entlang der mit einem löchrigen Zaun gesicherten chinesischen Grenze Richtung Ak-Baital Pass. Nach dem Mittagsessen wird unser Flow aber jäh unterbrochen. Der sagenumwobene Pamir Wind nimmt Fahrt auf, bläst uns mit voller Kraft entgegen und zwingt uns fast in die Knie. Mit zusammengebissenen Zähnen erreichen wir das von einer kirgisischen Familie bewohnte verlotterte Holzhäuschen 200 Höhenmeter unterhalb des Passes. Dankbar für die windsichere, warme Stube bleiben wir über Nacht und erleben auf 4400 Metern die unglaubliche Gastfreundschaft dieser einfachen Leute, die uns sogar ihr bereits vorgeheiztes Zimmer überlassen und in den kalten Nebenraum umziehen. Die Mama kocht auf einem mit Yak-Dung angefeuerten Ofen ein köstliches Abendessen und die beiden süssen Kinder zaubern ein Lächeln auf unsere müden Gesichter. Wir sind gerührt von der herzlichen Bewirtung und hätten uns keinen besseren Übernachtungsplatz aussuchen können!
Gestärkt mit einem frisch zubereiteten Milchreis treten wir die letzten 200 Höhenmeter auf den Ak-Baital Pass an. Am frühen Morgen ist von dem fiesen Wind nichts mehr zu spüren. Ohne dass uns in der dünnen Luft die Puste ausgeht, meistern wir alle die steile Schlussetappe auf den bis jetzt höchsten Punkt, den wir mit unseren Fahrräder je erreicht haben! Willkommen auf 4655 Metern über Meer! Hochmotiviert machen wir uns zu Fuss auf den Weg, um auch noch die 5000 Marke auf dem von uns vermuteten Ak Baital Gipfel zu knacken. Doch wie sich herausstellt, sind Joos Navigationskünste etwas eingerostet... Statt auf dem Ak Baital landen wir auf einem "No Name"Gipfel, der mit 4936 Metern aber immerhin höher ist, als der mit 4807 Meter höchste Berg der Alpen, der Mont Blanc!
Zurück auf den Rädern sausen wir den Pass hinunter und stoppen bei einem Jurtencamp. Von weiten rufen uns die Frauen "Cay, Cay" entgegen. Es ist Tea Time! Geschützt von dem erneut einsetzenden Wind lassen wir uns das warme Getränk in der gemütlichen Jurte schmecken und bewundern die Konstruktion dieser Nomandenzelte. Bei unserem Teekränzchen fragen wir uns, wo diese Menschen die zähen Wintermonaten verbringen und ob die Yaks im Sommer genug Scheisse produzieren, um die Öfen in den Zelten während der kalten Jahreszeit einzufeuern... Nachdem unsere Tassen geleert sind, stellen wir uns widerwillig wieder der Wellblechpiste und dem erneut biestigen Gegenwind.
Nach einer windgeplagten Nacht nähern wir uns wieder der Zivilisation. Dies bedeutet in unserem Fall das Dorf Karakul am gleichnamigen See, der auf 3940m Höhe liegt. Obwohl Karakul soviel wie "schwarzer See" bedeutet schimmert das abflusslose, salzhaltige Gewässer in den schönsten blau und türkis Farben. Das Dorf hingegen ist eher trostlos und scheint uns etwas ausgestorben. Karakul befindet sich seit der Grenzschliessung zwischen Tadschikistan und Kirgistan am Ende einer Sackgasse. Nur der auf den Mauern frisch gestapelte Yak Dung deutet darauf hin, dass hier, am äussersten Ende von Tadschikistan, doch noch Menschen leben. Da der kleine Supermarkt ausser einem beachtlichen BH Sortiment nicht viel Sinnvolles zu bieten hat, kaufen wir in Gedanken an das immer noch verschollene Team 2, nur Unmengen von Süssigkeiten und Biscuits ein, bevor wir das Dörfchen auf dem Weg, auf dem wir gekommen sind, wieder verlassen. Und als ob uns die Dorfbewohner so schnell wie möglich loswerden wollten, haben wir sogar Rückenwind!
Ab jetzt folgen wir dem verlassenen Bartang Tal Richtung Südwesten. Die Teerstrasse und der Rückenwind sind Geschichte und es geht auf der holprigen Piste nur langsam voran, bis wir schlussendlich ganz zum Stillstand kommen. Das Elburro Rack von Joos bricht an der Aufhängung der Seitentaschen... An einem windgeschützten Ort, der sich leider im Verlauf des Abends als nicht ganz so zweckmässig herausstellt, schlagen wir unsere Zelte auf und versorgen die Wunden unseres kleinen Eselchens mit ein paar Kabelbindern... Zum Glück haben fachkräftige Unterstützung von den beiden Ingenieuren Marielle und Henning!
Am nächsten Tag gönnen wir unserem angeschlagenen Elburro eine Pause und satteln stattdessen Schusters Rappen. Dieses Mal wollen wir wirklich die 5000 Meter Marke überschreiten! Nach eingehendem Kartenstudium plant Joos, optimistisch wie er ist, für die weglose knapp 1000 Höhenmeter Wanderung vier Stunden ein... Das Ganze dauert, wie von allen anderen Teilnehmer vermutet, mit knapp 7 Stunden etwas länger... Durch ein mit Schädeln von Marco Polo Schafen übersätes Tal bahnen wir unser Weg durch die Geröllwüste. Mit Schnappatmung erreichen wir nach etwas mehr als drei Stunden endlich den Gipfel des Urtabuz und haben mit 5047m Höhe die "Magic Number", wie John jetzt sagen würde, erreicht! Unter uns schimmert der riesige Karakul See und die weissen Gipfel des Pamirs sind zum Greifen nah. Jetzt sind wir wirklich auf dem Dach der Welt angekommen!
Wieder bei unserem Basecamp angelangt verbringen wir der Rest des Nachmittags bei Regen und Wind in unseren Zelten und hoffen, dass sich das Muskelkater tags darauf in Grenzen halten wird... Nach dem nächtlichen Temperatursturz sind die umliegenden Berge am nächsten Morgen weiss angezuckert und in unseren Getränkeflaschen befindet sich Crushed Ice. Haben wir uns vor einer Woche noch nach einer solchen Abkühlung gesehnt, bedeutet es nun, dass wir bei der bevorstehenden Flussdurchquerung so richtig kalte Füsse bekommen...
Nachdem wir von einem Bein aufs andere hüpfend unseren eiskalten Zehen wieder neues Leben eingehaucht haben, radeln wir über die endlosen Schotterpisten in der einsamen Landschaft immer tiefer in das wilde Bartang Tal. Wir bestaunen stolze Gipfel mit skurrilen Namen wie Pik Sowjetski Tadschikistan, durchqueren weitere Flüsse und können uns an dieser gewaltigen Natur kaum sattsehen. Ausser ein paar Yaks ist hier draussen niemand... Also fast niemand... Aus dem Nichts taucht Finn, der Australier, auf und nach einem zähen aber aussichtslosen Kampf gegen den täglich am Nachmittag aufkommenden Wind, der unsere Geschwindigkeit auf mickrige 5 Kilometer pro Stunde reduziert, stossen wir auf Pia und Baldur, einem deutschen Radfahrerpäärchen... Soviel zu der Einsamkeit im Bartang Tal...
Leider hat der Wind am nächsten Tag entschieden, uns bereits frühmorgens einen Besuch abzustatten und nicht erst wie vereinbart, am Nachmittag vorbeizuschauen. Die ersten Kilometer werden darum nicht nur wegen der fiesen Steigung ziemlich anstrengend. Erst als wir nach dem Downhill den schönen Bartang River erreichen, verabschiedet sich der unerwünschte Reisebegleiter. Zu siebt folgen wir dem ruppigen Weg, queren weitere Bäche und freuen uns über etwas, was wir schon länger nicht mehr zu Gesicht bekommen haben: Bäume!!!
In Ghudara, dem ersten Dorf seit Karakul, stossen wir auf einen im Gegensatz zu Karakul super ausgestattetes kleines Magasin und stocken gierig unsere Vorräte auf. Die Definition von "super ausgestattet" bedeutet in unserem Fall: Neben Biscuits, Bonbons, Noodle Soups und Turnschuhen gibt es auch Pasta, Reis, Zwiebeln und Dosengemüse. Ein Fest! Die neugierigen Dorfbewohner schenken uns zusätzlich frisch gemachtes Joghurt und machen unser Mittagessen somit zu einer mehr als luxeriösen Mahlzeit. Vollgefressen pedalieren wir weiter und stellen spätabends in Rukhch auf dem Volleyballfeld, dem einzigen Ort wo wir alle vier Zelte nebeneinander unterkriegen, auf.
Die nächsten beiden Tage pedalieren wir im Rudel durch die verlassene aber unglaublich eindrückliche Landschaft. Ein paar wenige Menschen und Millionen von Mücken und Fliegen haben sich trotz der Abgeschiedenheit hier angesiedelt. Sie leben von einfacher Landwirtschaft und sind im Winter für längere Zeit von der Umwelt abgeschnitten. Auf der Terrasse eines liebevoll eingerichteten Guesthouses erfahren wir etwas mehr über die nicht immer einfachen Lebensbedingungen und bekommen neben Tee und Biscuits das erste Mal seit langem wieder frische Früchte aufgetischt. Die süssen Aprikosen schmecken einfach himmlisch!
Die letzte Etappe bis Roshan wird für Tania zu einem etwas anderen Kampf. Der Magen spielt verrückt und wird bei dem unebenen Untergrund mehr als nötig durchgeschüttelt. Ein Teil ihres Frühstücks füllt nun deswegen eines der vielen Schlaglöcher in der Strasse... Bald sind ihre Batterien komplett leer. Da hilft auch die stärkende Suppe und der Tee, zu denen wir an einer Dorfbeerdigung eingeladen werden nichts... Mit Gummibeinen und vielen Pausen schafft sie es zurück in das Städtchen am Pansch River, wo sie Marielle, Pia, Hennig, Baldur und Joos würgend beim wohlverdienten Eiscreme schlecken zusieht.
Henning, Joos und Marielle organisieren direkt beim Glaceverkäufer einen Jeep Transport für die 500 km zurück nach Dushanbe. Baldur und Pia wollen die Strecke zurückradeln. Tania versucht währenddessen ihren Magen mit Motilium fahrtüchtig zu therapieren, denn die Strecke durch die Baustelle nach Kalai Chumb wird, wie wir bereits wissen, alles andere als gemütlich. Mit viel Improvisation (ein Veloträger ist was für Anfänger!), finden alle vier Fahrräder auf dem Dach des Fahrzeuges Platz... Der Fahrer tritt aufs Gaspedal, fest davon überzeugt einen neuen Geschwindigkeitsrekord bis in die Hauptstadt aufzustellen. In seinem Eifer übersieht er aber einen überhängenden Felsvorsprung und fährt mit vollem Tempo dagegen. Auch wenn wir uns glücklicherweise kein Härchen krümmen, haben Hennings und Joos Fahrradlenker durch den Aufprall eine ziemlich unnatürliche Form angenommen. Während der restlichen 10 Stunden Fahrt herrscht eine eisige Stimmung im Van und nur die fünf in Endlosschlaufe laufenden tadschikischen Lieder klingen durch die stille Nacht.
In Dushanbe angekommen können wir bei Tageslicht den Schaden endlich begutachten. Henning kann seinen Lenker zurückbiegen, bei Joos 90 Grad Knick ist Nichts mehr zu retten... Zudem ist der Hebel der Sattelstütze abgebrochen und Tanias Bremshebel wird mit dem Riss auch nicht mehr lange überleben. In der Zeit, in der sich Tania endlich von ihren Magen-Darm-Problemen erholt, versucht Joos für die beiden Fahrradpatienten in Tadschikistans Hauptstadt geeignete Ersatzteile aufzutreiben. Wider Erwartens ist er bei der Lenkersuche erfolgreich und treibt einen Mechaniker auf, der ohne SRAM Entlüftungskit Tanias Hinterbremse, die bereits seit Khorog einen unzuverlässigen Dienst erweist, entlüften kann. Wir befinden uns also alle auf dem Weg der Besserung!
Da wir aber noch auf Ersatzteile für unseren ElBurro Gepäckträger, einen neuen Sattelstützen und Bremshebel (ein herziches Dankeschön an IVANS VELOSPORT und El Burro für die schnelle Reaktion und an Tanias Mami und Claudio für die restliche Organisation) warten müssen, quartieren wir uns gemeinsam mit Henning und Marielle wieder im Green House Hostel ein, wo die Prä-Pamir Crew weiterhin über üble Strassenverhältnisse, Nahrungsmittelknappheit und die angsteinflössenden Taliban diskutieren und die Post-Pamir Crew sich in der gegenüberliegende Ecke auf der Reha Station erholt. Der Pamir hat sein Tribut gefordert- Nach Tania werden auch Marielle und Joos krank und verbringen die meiste Zeit auf dem klimatisierten Klo des Hostelzimmers. Aber die für uns alles entscheide Frage ist: WAS IST AUS TEAM 3 GEWORDEN? Bis Karakul war John William Barker III mit Finn unterwegs. Daraufhin hat der charismatische Amerikaner sein Vorhaben in die Tat umgesetzt und hat tatsächlich als erster und wahrscheinlich einziger Tourist nach zwei tägigem Ausharren in Wind und Schnee die Grenze am Kyzyl Art Pass nach Kirgistan überschritten! Was für ein Teufelskerl! Wir gönnen unserem Little John den Erfolg von Herzen und sind ein bisschen traurig, dass wir ihn leider nicht mehr in Dushanbe antreffen werden.
Fazit
Klar waren wir erst enttäuscht, dass der traditionelle Pamir Highway, der eines der Hauptziele unserer zweite Fahrradreise war, aufgrund der schwierigen Grenzsituation nicht möglich ist (ausser natürlich man heisst John William Barker III...). Im Nachhinein sind wir aber mit unserer Wakhan-Bartang Route mehr als zufrieden. Die Abgeschiedenheit und wilde Schönheit des Bartang Tals kann man kaum in Worte fassen und war definitiv das Highlight unserer Runde! In dieser Abgeschiedenheit wurde uns einmal mehr bewusst, in welchem Überfluss wir zu Hause leben, wie privilegiert wird sind und wie wenig man doch eigentlich zum Leben bräuchte. Wir haben gelernt mit schwierigen Situationen ruhiger und überlegter umzugehen, da es hier im Niemandsland nicht immer sofort Hilfe gibt und das sonst vielkonsultierte Handy ohne Netz ziemlich nutzlos ist. Mit viel Improvisation gibt es für jedes Problem(chen) eine Lösung und manchmal sind unsere sogenannte Probleme auch einfach gar keine... Wir durften die Gastfreundschaft der Pamiri kennenlernen und ziehen unseren Hut vor diesen Menschen, die trotz den zum Teil widrigen Umständen und vielen Entbehrungen ihr Lächeln und ihre Freundlichkeit nicht verloren haben. Auch haben wir in John, Marielle, Henning, Finn, Pia und Baldur tolle neue Freunde und die wahrscheinlich beste PAMIR CREW der Welt gefunden. Ohne sie wäre es bestimmt etwas weniger lustig gewesen. Knappe drei Wochen haben wir in dieser schönen Wildnis verbracht und sind stolz auf uns, dass wir alles so gut gemeistert haben. Auch wenn es nicht immer einfach war, wir enorm viel Staub gefressen haben, unser Material nicht allen Strapazen gewachsen war, es uns mächtig durchgeschüttelt und der Wind uns ab und zu in die Knie gezwungen hat, würden wir sofort wieder losziehen. Denn in den atemberaubenden Bergen des Pamirs gibt es noch so viel mehr zu entdecken!
PS: auch wenn der Irrglaube anscheinend im Green House Hostel weit verbreitet ist, können wir die Schwierigkeiten, mit dem Nahrungsmittelnachschub nicht verstehen. Ausser man erwartet einen MMM Migros am Ende der Welt...
Wohin es uns nach unsere Pause in Duschanbe zieht, erfahrt ihr im nächsten Bericht!
Reisedaten: 23.6.- 15.7.2023
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