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27. KASACHSTAN

Unsere Fahrradreise geht nach einer fast 10 monatigen Pause endlich weiter. Wie gut wir, respektive unsere Beine, uns wieder an den Radreisealltag gewöhnen, erfahrt ihr hier.

Normalerweise verändert sich auf einer Radreise die Landschaft und die Kultur langsam. Und dennoch ist man meistens nach dem Grenzübertritt mit einer neuen Sprache, neuem Geld und neuen Gepflogenheiten konfrontiert. Da wir nicht nochmals von der Schweiz radelnd den Weg nach Zentralasien bewältigen wollten, rechnen wir daher mit einem ziemlichen Kulturschock, als wir in Almaty, das von 1991 - 1997 die Hauptstadt des neuen Staates Kasachstan war, landen. Doch unsere Befürchtungen lösen sich in der Stadt, die sich dank der begrünten Strassen, den wenigen Wolkenkratzer und den schneebedeckten Bergen im Hinterland gar nicht wie eine 1.7 Millionen grosse Metropole anfühlt, in Luft auf. Alles ist modern, die Menschen sind westlich gekleidet, es ist sauber und ordentlich, zahlreiche Studierende sitzen in den noch zahlreicheren hippen Cafés, ein Ferrari und ein Porsche warten brav an der roten Ampel auf grün... Die Kasachen haben Geld, und zeigen es auch. Öl- und Mineralienvorkommen haben der kasachischen Wirtschaft den Aufschwung beschert, der in den anderen Stan Ländern ausgeblieben ist. Profitiert haben vor allem die Städter. Auf dem Land sieht es etwas anders aus, aber dazu später mehr. Wir freuen uns neben all dem "Neuen", "Hippen" und "Protzigem" im Staatlichen Museum doch noch etwas (Weniges) über die Ursprünge des jungen Landes zu lernen. Auf dem Greenmarket verspüren wir den feinen Hauch Zentralasiens und lauschen am Openairkonzert der Un Music Weeks den wunderschönen, traditionellen Klängen, die uns mit ihren authentischen Melodien in die endlose, wilde kasachische Steppe entführen.

Nach drei Tagen Akklimatisation, sind wir bereit aufzubrechen. Raus aus der Stadt, rein ins Abenteuer, auf der einzigen Strasse, die von Almaty Richtung Norden führt: Dem Highway A3... Ein Veloverbot sehen wir keines und da wir ausser den deutschen Werbeaufschriften auf den unzähligen Lkws, die an uns vorbeidonnern, eh nichts entziffern können, pedalieren wir auf einem halben Meter breiten Pannenstreifen den flachen 120 km langen Weg in den nächsten nennenswerten Ort Sariözek... Nach einem ganzen Tag Autobahn wollen wir nur noch eines: ein ruhiges Örtchen zum Schlafen, weg von all dem Verkehr. Wir nehmen die nächste Ausfahrt und landen am Ufer des Kaptschagai Stausees mit Blick auf die Schneeberge. Ein kleiner Vorgeschmack auf die vielen schönen Campspots, die noch folgen werden

Da es auch am zweiten Tag keine Alternative zum kasachischen Highway gibt, pedalieren wir mit etwas müden Beinen auf ebendem weiter. Bis die Polizei uns stoppt... "Odkuda?" Brav antworten wir "Schwizaria". Sie lachen: "Welcome to Kasachstan!" und weisen uns mit einem Augenzwinkern auf das Speedlimit hin. Dann steigen sie wieder ins Auto und fahren weiter. Damit ist die Frage, ob man mit einem Fahrrad auf dem kasachischen Highway fahren darf, auch geklärt. Dieser verliert mehr und mehr seinen Autobahncharakter und wird zunehmends zur selten befahrenen Landstrasse. Hatten wir mit trockener, öden Steppenlandschaft gerechnet, werden wir jedoch eines Besseren belehrt.  Frühlingsfarben leuchten von den saftigen Wiesen entgegen und verzaubern uns während der knapp 100 km bis zum nächsten nennenswerten Ort Basshi. 

Kurz vor Basshi erklimmen wir mit unseren noch etwas untrainierten Beinen einen kleinen Pass und erspähen auf der anderen Seite das, was wir in Kasachstan anzutreffen gedacht haben. Weite Steppe!


Der vor uns liegende Altyn Emel Nationalpark hat Wüstencharakter und ist neben Gazellen auch Heimat von Wüstenspringmäusen, Eidechsen und unzähligen Marienkäfern. Sogar das legendäre Przkewalski Urpferd wurde hier wieder angesiedelt. Wir holen uns im Parkoffice unser Permit und machen uns auf der holprigen Waschbrettpiste auf den 50 km langen Weg zu der Singing Dune. Spätestens jetzt werden die müden Beine zur Nebensache und die durchgeschüttelten Arme und Handgelenke rücken in den Fokus. 

Geweckt durch das melodische Zwitschern der Vögel machen wir uns bei Tagesanbruch um halb fünf morgens an die letzten 10 km Holperpiste zur Singing Dune. Und wahrlich, nicht nur die Vögel singen in dieser einsamen Landschaft, auch von der Düne durchdringt ein dumpfer Basston die Stille, als wir im heissen Sand herunter rennen. Das Sand-Schweissgemisch klebt überall und wir sind dankbar für die gratis "Dusche" an der Rangerstation... 

Die Wüste im Altyn Emel Nationalpark ist zauberhaft. Vor allem die einsame Weite erobert unser Herz. Doch genau diese Weite ist für Radreisende der grösste Knackpunkt. Zur nächsten Attraktion, den spektakulären Aktau Mountains, lächerliche 75km Holperpiste hin und auf demselben Weg wieder zurück, gönnen wir unseren Beinen respektive Armen eine Pause und weichen auf einen Jeep aus. Timur und Aleis aus Almaty, unterwegs mit roter Diplomatennummer, nehmen uns mit, inklusive Mittagessen und guided Tour durch die faszinierende Sandsteinlandschaft. Und für einmal sind nicht wir mit dem Fahrrad die Spinner in der Wüste, sondern der ältere holländische Herr mit seinem noch etwas älteren Ford, der uns etwas hilflos mit einer zerfledderten Karte in der Hand nach dem Weg zum Parkoffice fragt...

Leider ohne Przkewalski-Pferd Sichtung verlassen wir den Park wieder, treffen aber auf der flachen von Bergkämmen umsäumten Ebene auf deren Nachkommen. Riesige Pferdeherden mit den dies- und letztjährigen Fohlen galoppieren mit wehender Mähne stolz über das karge Gras und ihr Wiehern klingt durch die Weite der kasachischen Steppe. Genauso haben wir uns Kasachstan vorgestellt!

Wir kurbeln weiter, werden in den spärlichen Dörfer mit einem zaghaften Winken willkommen geheissen und ziemlich oft heimlich gefilmt und fotografiert. Auf dem Land trauen sich nur ganz wenige, uns anzusprechen. Darum sind wir umso erstaunter, als wir bei einem Mittagsstopp von einem Kasachen eine weisse Flüssigkeit in die Hand gedrückt bekommen. Wild gestikulierend malt er eine Schlangenlinie in die Luft... Irgendwann fällt dann auch der Groschen bei uns. Es handelt sich um Kamelmilch und schlecht schmeckt sie keinesfalls. 

Nach einer landschaftlich wunderschönen und abwechslungsreichen Strecke erreichen wir nach einem 20km langen Kampf gegen den Wind den Charyn Canyon. Er gilt als Grand Canyon von Kasachstan und scheint für die reichen Städter Touristenziel Nummer eins zu sein. Und auch wenn unsere Beine nach dem strengen Tag müde sind, den Taxibus für 3 km Strecke in die Schlucht, das riesige Visitorzenter (mit Souvenirs im American Style) und das hippe Restaurant finden wir etwas übertrieben. 

Erst als die Sonne untergeht, kehrt im Charyn Canyon Ruhe ein. Und da sie bereits um 4 Uhr wieder aufgeht und wir aufgrund des superstarken böigen Windes und dem unangekündigten Besuch von Herr Skorpion kein Auge zutun, bleibt uns mehr als genug Zeit, den imposanten Canyon zu erkunden, bevor der schöne Ort um 8 Uhr wieder von Touristenmassen überrannt wird. 

Wir verlassen den eindrücklichen Canyon nach zwei Tagen wieder und pedalieren weiter. Am Black Canyon treffen wir endlich auf einen anderen Ausländer. Lukas aus dem Südtirol radelt in dieselbe Richtung, bis die ersten Tropfen aus dem bedrohlich grauen Himmel auf uns niederprasseln. Lukas stellt sich bei der nächsten Gelegenheit unter, knurrende Mägen und der fehlende Proviant treiben uns hingegen durch den Regen bis ins nächste Dorf... 

Nach dem Regen scheint bekanntlich die Sonne und wir starten unsere erste richtige Bergetappe hoch Richtung Kaindy Lake. Über einsame Feldwege und ausgewaschen Kiesstrassen pedalieren wir durch saftig grünen Wiesen, vorbei an noch verlassenen Jurten und erspähen die immer noch etwas eingeschneiten Gipfel der nahen Berge. Und siehe da, unsere Beine scheinen doch nicht ganz so eingerostet zu sein, wie wir befürchtet haben. 

Der Kaindy Lake auf 2000m Höhe ist ebenfalls eine der Hauptattraktionen Kasachstans. Er ist 1911 durch einen Erdrutsch entstanden und die abgestorbenen Tienschan Fichten ragen bizarr aus dem milchig-türkisen Wasser. Früh morgens ist es noch ruhig, dann werden die Touristen scharenweise mit alten 4x4 Bussen die holprige Strasse hochgefahren. Mit Selfisticks bewaffnet und in Schale geworfen wird posiert und in einer Lautstärke, die seinesgleichen sucht, alles kommentiert. Die wunderschöne Idylle verwandelt sich innert wenigen Minuten in einen Instagramhotspot.. Der ganze Tumult wird uns zuviel und wir rollen auf der zum Teil mit Schmelzwasser überfluteten Strasse runter ins Dorf Saty.  

Wir radeln weiter durch die bergige Graslandschaft. Die Dörfer sind hier kleiner und ärmer, und haben so gar nichts mehr mit dem modernen Almaty gemeinsam. Windschiefe Häuser mit noch schieferen Gartenzäunen, verostete Traktoren, fehlende Kanalisation und jede Menge Pferde. Die Menschen sind Hirten, Ackerbau wird kaum betrieben. In diesen kleinen Dörfern gibt es nur wenige Einkaufsmöglichkeiten, die ohne Ortskenntnis nicht aufzuspüren sind. Die Verständigung gestaltet sich ebenfalls schwierig. Meist ist unser kasachisch besser als das der Einheimischen. Denn diese sprechen nur russisch... Doch irgendwie kommen wir immer zu etwas Essbarem, sei es Brot, Kaymak (Rahmyoghurt) oder einer Tüte Chips. 

Wenn man schon in einem Land ist, wo es mehr Pferde als Menschen gibt, sollte man zumindest auch auf einem gesessen haben. Und Tania strahlt wie ein Honigkuchenpferd als der nette Hirte, der am Abend mit seinem Ross auf einen Kaffee zu Besuch kommt, ihr eine kleine Reitstunde offeriert. Für einen kurzen Moment erwägt sie sogar das Bike gegen den Hengst zu tauschen, der Pferdesattel ist jedenfalls um einiges bequemer... Doch die Pferde werden nicht nur zum Reiten und Treiben der Herden genutzt. Pferdefleisch gehört neben der berühmt berüchtigten Kymys (vergorene Stutenmilch), zu den Leibgerichten der Kasachen. Vor allem die Stutenmilch ist sehr gewöhnungsbedürftig... Eins vorneweg, sie ist nicht allen gut bekommen... Da ist uns das in ganz Zentralasien bekannte Laghman (dicke Nudeln mit Gemüse und Fleisch) oder die Mantis (gefüllte Teigtaschen) um einiges lieber. 

Die letzten Kilometer in Kasachstan brechen an. Wir hatten einen perfekten Start in Part 2 von unserem Abenteuer. Wunderschöne Zeltplätze, eine erstaunlich abwechslungsreiche Landschaft und fast immer schönes Wetter. Wir passieren die letzten sattgrünen Hügel und werden das unerwartet bunte und vielfältige Kasachstan nicht nur wegen den tausenden kleinen Vergissmeinnicht auf den Wiesen nicht so schnell vergessen. Begleitet von einer (wie könnte es anders sein) Pferdeherde pedalieren wir Richtung Grenze. 

Welche Grenze das ist, wie es weitergeht und was die Kymys unter anderem angerichtet hat, erfahrt ihr beim nächsten Mal. 


Reisedaten 24.5- 7.6.2024

Statistik

Ca. 820km

Ca. 7290 Höhenmeter 

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