Unsere Reise geht weiter. Vor uns liegt der Subkontinent Indien mit seinen 1.4 Milliarden Einwohner. Wie wir uns im bevölkerungsreichsten Land der Welt zurechtzufinden, erfahrt ihr hier.
Früh morgens sind Lahores Strassen angenehm. Der Verkehr hält sich noch in Grenzen und wir pedalieren ostwärts Richtung indische Grenze. Alles geradeaus. Nachdem wir der Stadt den Rücken gekehrt haben, wird es grüner. Die Bauerhöfe Pakistans sozusagen. Und der Mist der Tiere wird auf die Strasse gekehrt...
Wir wollen noch unsere letzten pakistanischen Rupien ausgeben. Was uns nicht gelingt. Natürlich werden wir auch im kleinsten Shop am äussersten Ende von Pakistan nochmals eingeladen... Und dann sehen wir die Grenze. Die Wagha Border ist ein riesiger Komplex, obwohl der Grenzübergang kaum benutzt wird. Die Spannungen zwischen Pakistan und Indien dauern an. Zankapfel Kashmir... Grund für das überdimensionale Gebäude ist die riesige Show, die hier jeweils spätnachmittags dargeboten wird. Auf den extra errichteten Tribünen auf deren Sitzplätzen tausende vor allem aus Amritsar angereiste Touristen Platz finden, kann man die eingeübte Parade der Soldaten zur Schliessung der Grenze bestaunen. Und damit es keine neuen Spannungen gibt wird penibel darauf geachtet, dass die Fahnen beider Länder zur gleichen Zeit eingeholt werden. Wir lassen dieses inszenierte Tamtam aus... Nach einem - ganz im Gegensatz zu der Indien Visumeinholung - super entspannten Grenzübertritt, fahren wir direkt weiter ins 30km entfernte Amritsar.
Es ist grün, Reisfelder säumen die in der segneden Hitze flimmernde Strasse. Wir sind nicht nur wegen des spicy indischen Essens nach kürzester Zeit schweissgebadet, obwohl es weiterhin flach geradeaus geht... Dann erreichen wir Amritsar. Die Stadt scheint beim ersten Eindruck etwas weniger chaotisch als Lahore auf der anderen Seite der Grenze. Die Motorräder sind neuer. Die Tuktuks elektrobetrieben. Die Strassen besser. Der Verkehr etwas geregelter. Die Häuser etwas weniger verfallen. Der Abfall etwas weniger übelriechend. Und hier gibt es plötzlich Frauen auf Rollern und in bunten Kleider. Sowas haben wir in Pakistan definitiv nie gesehen!
Neben der Farbenpracht, Pferdefuhrwerken und Ritschkas fallen aber vor allem die eine Million verschieden farbene Sikh Turbane, die durch die belebeten Strassen wandern, auf. Die religiöse Bewegung des Sikhismus wurde im 16. Jahrhundert von Guru Nanak gegründet. Er hat versucht die positiven Eigenschaften des Islams und des Hinduismus in einer neuer Religion zu verbinden. Die Sikhs zeichnen sich durch die fünf "kakar" aus: KES, das nicht geschnittene Haupt- und Barthaar; KANGHA, der Kamm; KIRPAN, der Dolch; KACCHA, die Kniehose und KARA, der eiserne Armreif. Amritsar ist aufgrund des Goldenen Tempels die wichtigste Pilgerstätte der Sikhs. Im 16. Jahrhundert wurde er vom 5. Guru der Sikhs erbaut und erhielt unter Ranjit Sigh die in der Abendsonne glänzende Vergoldung. Dem den Tempel umgebenden Teich werden heilende Kräfte nachgesagt, verbunden mit einer Saga über eine Prinzessin und ihren hier geheilten Leprakranken Mann. Tausende Pilger kommen täglich hierher, waschen sich im Wasser, schlafen vor und im Tempel, singen und werfen sich ehrfürchtig nieder.
Wir schlendern zuerst durch die bunten, lebhaften und heissen Gassen der Grossstadt, organisieren unsere Weiterreise - denn eines ist uns bereits nach 30km klar, in dieser Hitze pedalieren wir keinen Meter mehr - und testen schon mal die unzähligen indischen Köstlichkeiten. Die Welt hier ist bunt, fröhlich und faszinierend und in jeder Gasse duftet es nach Räucherstäbchen. Nur die Hitze, die auch durch die in jedem Restaurant aufgestellte Ventilator-Armada nicht in den Griff zu kriegen ist, macht uns weiterhin zu schaffen...
Gegen Abend, als die sengende Sonne sich langsam verabschiedet, mischen wir uns auch unter die Pilger und lassen uns von der friedlichen Stimmung mittragen. Aus den Lautsprechern erklingt eine beruhigende Musik, Libellen schwirren im Abendlicht über den See, die Frauen in bunten Kleider, die Herren mit dem für die Sikh typischen Turbanen gehen anmutig barfuss im Uhrzeigersinn um den Tempel herum. Es ist farbenprächtig. Es ist friedlich. Und der Goldene Tempel glänzt in der Abendsonne. Wir setzen uns ans Wasser und lauschen den fremden Klängen bis die Nacht über uns hereinbricht.
Als Zeichen für ihre Toleranz gegenüber anderen Religionen werden im grossen Speisesaal des Sikhtempels auch Ungläubige kostenlos verpflegt. Nach einer kleinen Spende setzten wir uns ebenfalls in die geschäftige Halle und werden fast a la discretion mit Dhal, Masala, Milchreis und Chapati versorgt. Im Saal ist es friedlich, sauber und geordnet, obwohl täglich bis zu 35000 Menschen hier gratis essen. Und wisst ihr was? Das Essen schmeckt köstlich und wir hatten danach keinen Durchfall!
Um etwas besser zu verstehen, was vor, während und nach der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans 1947 genau passiert ist und um der mittäglichen Hitze zu entfliehen, besuchen wir das Partition Museum. Bis 1947 war Grossbritannien der Kolonialherr über Menschen, die weder in der Ideologie noch im Erscheinungsbild britisch sind. Erneut so viel Elend, so viele unnötige Tote, so viele Flüchtlinge, so viel Hass und so viel Uneinigkeit. Mehr als jede andere Region hatte Punjab beiderseits der Grenze zu leiden und war für Monate Schauplatz grässlicher Massaker und Flüchtlingströmen. Wäre es auch so gekommen, wenn die Kolonialmächte nie Fuss in die Region gesetzt hätten? Einmal mehr hinterlässt das Auftreten der sogenannt zivilisierten Staaten Europas einen fahlen Nachgeschmack. Es geht um Macht und Geld. Und bestimmt nicht um die Menschen die hier leben...
Wir sitzen für den restlichen Nachmittag im klimatisierten McDonalds. Nicht etwa um etwas zu essen, sondern um dem Hitzschlag zu entgehen... Denn hier gibts alle Burger nur in Veggie Varianten. Und Burger ohne Fleisch macht selbst für einen Mc Donalds Junkie wie Joos keinen Sinn...
Abends kämpfen wir uns mit den Rädern zur Busstation... Ein Hupkonzert, dass mehr Ohrensausen verursacht, als das lauteste Rockkonzert. Die ganze Stadt befindet sich auf den Strassen. Ein riesen Chaos...und es gibt nur eine Verkehrsregel: Die Kuh hat immer Vortritt!
Auf der ewiglangen Busfahrt lassen wir unsere ersten Eindrücke von Indien sacken. Wo wir genau hinfahren, erfahrt ihr das nächste Mal.
Reisedaten 5.-7.9.2024
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