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34. INDIEN: LADAKH

Nach unseren ersten Eindrücken in Indien, machen wir uns auf den Weg in die Berge. Wie wir uns in den Hochgebirgsregionen des Himalayas behaupten und warum uns beinahe die Puste ausgeht, erfahrt ihr hier.

Die Zeit in Amritsar hat ihre Spuren hinterlassen. Die zwar im ersten Moment angenehme Klimaanlage im Hotel hat nicht nur die erwünschte Kühlung sondern bei Tania auch eine Verkühlung hervorgerufen. Als unser Bus ab Amritsar nach mühsamen 12 Stunden endlich Manali, unser Ziel, erreicht ist die Aussentemperatur zwar unter 40 Grad gesunken, die Körpertemperatur von Tania hingegen nicht... Als erstes legen wir in Manali also einen Genesungsstopp ein. Und eben in dem Moment, als wir wieder startklar sind, startet auch der täglich einsetzende Monsunregen. Nach wenigen Kilometern sind wir klitschnass und müssen uns unterstellen. Nicht gerade ideale Bedingungen für die angeschlagene Tania.

Vorbei an den ersten Prayerflags und Stupas pedalieren wir Richtung Rothang Pass. Die hinduistischen Denkmäler werden weniger, die buddhistischen immer zahlreicher. Lustige Schilder ermahnen zu einer vorsichtigen und zurückhaltenden Fahrweise - mit wenig Erfolg.... Die Strasse schraubt sich in unzähligen Spitzkehren berghoch. Riesige Wasserfälle stürzen über steile Felswände, die Landschaft ist grün - kein Wunder bei all dem Regen... Die Temperatur sinkt mit jedem erklommenen Höhenmeter, Nebel zieht magisch durch die Föhrenwälder, Tanias Fieber kommt langsam wieder angekrochen. Campspots gibt es in dem steilen Gelände keine. Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit finden wir einen geeigneten Platz. Völlig erledigt stellen wir das Zelt auf, gefolgt von einer Pechsträhne die mit dem aus unerklärlichen Gründen nicht funktionierenden Kocher beginnt, mit dem Tod von Joos Handy weitergeht und ihren Abschluss in den angsteinflössenden nächtlichen Schreie eines um unser Zelt schleichenden Unbekannten findet. So haben wir uns den ersten Tag fahrradfahren in Indien nicht vorgestellt...

Der nächste Morgen startet vielversprechend. Über uns blauer Himmel, nur leider nicht für lange. Ob die im aufziehenden Nebel kreisenden Geier ein schlechtes Omen waren? Die dunklen Wolken über unseren Köpfen haben sich wortwörtlich noch nicht verzogen. Nach 100 Höhenmeter Anstieg beginnt es wie aus Kübeln zu giessen und der Regen stoppt für die kommenden 700 Höhenmeter nicht mehr. Nach fast 4 Stunden frieren und nass bis auf die Unterhosen erreichen wir endlich den Rohtang La auf 3978m. Der Pass ist Wetter- als auch Kuturscheide - er trennt die eher feuchten vom Monsun und Hinduismus geprägte Region des Hügel- und Mittellandes von den buddhistisch geprägten, wüstenartigen Hochgebirgsregionen des Himalaya. Von der Wetterscheide merken wir erstmals nichts, es regnet immer noch ununterbrochen... Und es ist saukalt! Über uns ist alles weiss und unsere Hände eisige, gefühllose Klumpen, die erst durch die vom Inhaber des Teestandes mit heissem Wasser gefüllten Petflaschen langsam wieder zum Leben erwachen.  

Nach zwei Cays kommen die Lebensgeister langsam zurück. Eingepackt in alle unseren warmen Sachen fahren wir talwärts. Durch die Nebelschwaden kann man erahnen, wie schön es hier wäre. Am Talboden flussaufwärts befindet sich das abgelegene Spiti Valley. Wir biegen jedoch links ab und folgen nicht nur dem Manali Leh Highway sondern auch den dunklen Wolken und dem immer wieder einsetzenden Regen. In dem kleinen Dorf Sissu ist Schluss. Tanias Körper hat sich erneut in eine schlotternde Masse verwandelt. Statt dem mittlerweile tropfnassen Zelt wählen wir deshalb einen Homestay, wo sich die durchgefrorene Glieder nach einer warmen Dusche in einem warmen Bett vom Schlimmsten erholen können (Danke Babsi fürs Sponsoring!).

Der Morgen ist unerwartet klar. Die Berggipfel um uns herum haben Sonne. Und obwohl bereits nach dem Frühstück wieder graue Wolken aufziehen, bleiben wir wie durch ein Wunder den ganzen Tag trocken. Es scheint so, als ob unsere Pechsträhne vorüber und an dieser Wetterscheide doch was dran ist. Durch tausende von Blumenkohlfelder, deren kohlige Duft das ganze Tal einhüllt, radeln wir vorbei an Stupas, Mani Walls und Prayerflags durch das Lahaul Valley und folgen anschliessend auf dem Manali-Leh Highway dem Bagha River auf einer spektakulären Strasse flussaufwärts. 

Die Anstrengung fordert Tanias angeschlagenen Atemapparat und zwingt uns immer wieder zu Verschnaufpausen. Nach einem Stopp mit leckeren Momos verlassen wir nach Darcha den Manali-Leh Highway und biegen auf den etwas weniger touristischen Weg Richtung Padum ab. Einst war hier nicht einmal eine Kiesstrasse und Padum während des Winters nur über Leh und eine mühsame und gefährliche Reise über den gefrorenen Zanskar Fluss zu erreichen. Dann wurde 1980 eine Strasse gebaut, die das im Osten liegende Kargil mit Padum verbindet. Und seit Kurzem gibt es auch von der Manali Seite eine durchgehende Strasse, die das Zanskar Tal zumindest in Sommer auch von Süden erreichbar macht. Die Strasse ist und wird jedoch wahrscheinlich ewig eine Baustelle bleiben. Permanent donnern Steine runtern, reissen Leitplanken weg und verschütten die Fahrbahn. In den zahlreichen gelben Zelt-Dörfer entlang der Strasse sind zahllose Strassenarbeiter untergebracht - ohne Strom, fliessend Wasser oder geeigneten Kleidern, ständig den fiesen Wetterkapriolen des Hochgebirges ausgesetzt. Begleitet werden sie von ihren Familien. Von Kindern über Vater und Mutter bis zu den Grosseltern arbeiten sie alle zusammen ohne Maschinen an der Ausbesserung der Strasse. Auf 50 Arbeiter kommen 20 Schaufeln. Der Rest gräbt oder verkleinert Steine von Hand... Die Kleinkindern wischen unterdessen den aufgewirbelten Staub von der Fahrbahn... Es ist ein grausiges Szenario das viele Fragen zur indischen Regierung und der Behandlung von Arbeitern aufwirft... Wir suchen uns abseits der Zeltstädte einen vom aufkommenden Wind geschützten Ort um uns vor der ersten richtigen Bergetappe in Indien nochmals richtig auszuruhen. 

Wir ziehen frühmorgens los. Es ist bitterkalt. Erst als sich die Sonne zeigt, wird es wärmer. Vor uns liegen 23km und 1300 Höhenmeter. Unser Ziel: Der Shingo La Pass, der uns mit seinen über 5000m Meter mitten in den indischen Himalaya katapultiert und uns ziemlich aus der Puste bringt. Haarnadelkurve reiht sich an Haarnadelkurve. Ein Flachstück - Zeit zum Verschnaufen. Die Luft wird immer dünner und Tanias angeschlagene Atemorgane haben Mühe genug Sauerstoff in den Körper zu pumpen... Atemlos sozusagen, aber auch wegen der immens schönen Landschaft!

Ganz langsam kommt das Ziel in Sicht. Die letzten Höhenmeter des Anstiegs sind sehr steil, die Kräfte schwinden. Nochmals auf die Zähne beissen... Und dann kommen wir auf dem Shingo La Pass an! Welch ein Anblick! Die tibetischen Gebetsfähnchen wehen im Wind und wir blicken erstmals nach Ladakh. Der Shingo La markiert die Grenze zwischen den Bundestsaaten Himachal Pradesh und Jammu Kashmir mit der berühmten (gerne selbstständigen) Region Ladakh, auch das Tibet Indiens genannt. Die Landschaft ist karger hier. Es fällt weniger Niederschlag. Trotzdem wird es im Winter unerträglich kalt. Doch im Moment leuchten die prächtigen herbstlichen Farben in der Sonne. Talwärts fliesst ein milchig-blauer Fluss. Gumbo Rajan, der Haifischzackenberg, durchbricht mit seinem weissen Fels die Landschaft. Einfach unbeschreiblich schön!

Die Abfahrt wird etwas holprig. Die Strassenarbeiten dauern auch auf dieser Seite an. Doch nach ca. 4 Kilometer staubiger Sandpiste befinden wir uns auf perfektem Teer und es rollt wunderschön talwärts durch eine Kulisse, die seinesgleichen sucht. Wir befinden uns in der buddhistischen Region Zanskar. Die ersten Dörfer und Chörten (tibetisch für Stupa) kommen in Sicht. Verlassen thronen sie auf Hügeln über dem Tal und strahlen in der Abendsonne.  Die ersten Yaks weiden auf den noch grünen Wiesen. Ein atemberaubend schöner Anblick. Es hängt eine Ruhe und Bedachtheit in der Luft. Die Abgeschiedenheit dieses Ortes erfüllt uns mit einer unglaublichen Zufriedenheit und fast kann man sich ausmalen, wie unberührt das Leben hier vor der Strassen noch gewesen sein muss.

Unser Campspot im Schutz eines Felsens gleich neben uralten Chörten war perfekt. Geschützt vor dem Wind haben wir ausser unseren nächtlichen Hustenattacken gut geschlafen. Joos ist nämlich mittlerweile auch krank...Als die Sonne uns erreicht, packen wir zusammen und fahren weiter. Wir haben eine 65km lange Strecke bis Padum vor uns. Schwer abzuschätzen, wie weit es wirklich ist, denn Joos Telefon ist immer noch tot und Tanias Onlinekarte ist trotz Update so aktuell, dass es die neue Strasse auf der wir fahren, gar nicht gibt... Aber 65km scheinen nicht unmöglich zu sein und Höhenmeter sollten es nicht allzuviele sein...Glauben wir zumindest...

Erst rollen wir auf pikfeinem Asphalt abwärts. Dann beginnt die Baustelle. Es ist staubig, holprig und anstrengend. Wir kämpfen uns langsam vorwärts. Und erspähen auf der andere Seite eine asphaltierte Strasse...Die Brücke haben wir leider verpasst. Währenddem die Royal Enfield Crews gemütlich über die geteerte Strasse cruisen mühen wir uns Meter für Meter auf der Baustellenseite ab. Komplett in Staub eingenebelt folgen wir dem immer schlechter werdenden Weg, vorbei an grossen Baumaschinen und verdächtigen Kisten. Dynamitgeschmack liegt in der Luft. Dann ein grosser Knall. Staub wirbelt auf und es poltert mächtig. Es wird definitiv Zeit, die Seiten zu wechseln, bevor wir noch in die Luft gejagt werden! Über eine Fussgängerbrücke schaffen wir dann endlich die Flussüberquerung auf den rettenden und vor allem sprengsicheren Teer. Ganze 20km haben wir in 4 Stunden geschafft...

Es liegen noch 45km vor uns. Machbar auf Teer. Doch unsere Freude währt nur kurz. Denn auch auf dieser Flussseite beginnt nun die Baustellensektion. Wir folgen dem Lungnak Fluss, vorbei an winzigen Dörfchen fussabwärts. Klingt unanstrengend, ist es aber nicht. Die Strasse führt am Flussufer ständig runter und wieder supersteil hoch. Kräftezehrend. Und dann kommt noch ein weiterer ungünstiger Faktor dazu... Gegenwind!

Fast schon haben wir unser Tagesziel abgeschrieben. Doch dann kommt endliche wieder erlösender Teer. Es sind noch 22km bis Padum. 22km die zwar immer noch ständig auf und ab gehen, aber asphaltiert sind. Vorbei an der Munay Gompa und der Bardan Monastery finden wir um halb sechs auch den Weg nach Padum, dem auf 3500m liegenden Hauptort von Zanskar. Nach wie vor schwer zugänglich zwischen die Zanskar Kette und den Himalaya-Hauptkamm eingebettet, gehört die parallel zum Indus verlaufende Zanskar Hochebene zu den noch wenig besuchten Regionen des indischen Himalaya. Ausser an diesem Wochenende...

Unsere heutige Odyssee ist noch nicht beendet. An diesem Wochenede findet nämlich im nahe gelegenen Sani das Zanskari Festival statt. Die Guesthouses sind rappelvoll. Wir irren durch das eher unschöne, vom Bauwahn (Old Padum musste zum Teil der neuen Strasse, die immer mehr Touristen bringt, weichen) geplagte Dörfchen auf der Suche nach einem Bett, denn mittlerweile geht es Joos so schlecht, dass eine Nacht draussen im kalten Wind nicht in Frage kommt. Auf unseren Irrwegen treffen wir auf zwei Holländer, die mit ihrer gemieteten Royal Enfield ebenfalls ihren Weg nach Padum gefunden haben und uns grosszügig ihre im Guestzimmer integrierte Stube zum Schlafen anbieten. Welch ein Glück!

Warum uns Padum wortwörtlich zurück in die Vergangenheit katapultiert, erzählen wir euch beim nächsten Mal.

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