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36. INDIEN: ZANSKAR

Nach unserer Reise in die Vergangenheit, radeln wir auf den neuen Strassen der Gegenwart weiter. Welche Herausforderungen die Region Zanskar für uns bereit hält und warum der Fortschritt nicht nur Gutes hat, aber manchmal doch notwendig ist, erfahrt ihr hier.

Wir lassen Padum hinter uns. Über die Zanskar Ebene pedalieren wir nach Karsha. Das traditionelle Dörfchen beherbergt eine der bedeutesten Gompas (=buddhistischer Tempel) in der Region Zanskar und thront kunstvoll über dem tiefblauen Flüsschen. Die Hausfassanden strahlen uns weiss getüncht entgegen. Gemäss Tradition erhalten sie jedes Frühjahr einen neuen Anstrich damit das bevorstehende Jahr ohne Altlasten starten kann. Heu und getrockneter Yakdunk stapeln sich auf den Dächer, eine altbewährte Wintervorsorge um die Öfen in der kalten Jahreszeit einheizen zu können. Auch die atemberaubende Aussicht auf die vergletscherten Berge hinter Padum hat sich wahrscheinlich in den letzten 1000 Jahren kaum verändert.

Die Karsha Monastery, geführt vom Bruder des Dalai Lama, ist Heimat von 70 Gelbmützenmönchen. Die Anzahl praktizierender Mönche schrumpft jedoch Jahr für Jahr. Früher wurden aus den kinderreichen Familien oft Jungen ins Kloster geschickt, da die Familien nicht alle hungrigen Mäuler selbst stopfen konnte. Heute ist Mönch werden nicht mehr so gefragt... Die Jungen wollen lieber in den Städten ihr Glück versuchen und ein moderneres Leben führen. Trotzdem haben die Klöster mit all ihren Schätzen bis in die heutige Zeit überlebt und erzählen von einer lang vergangenen Zeit. Wir bestaunen die fast 1000 Jahre alten Bilder, hören den Mönchen zu, wie sie in ständiger Repetition ihre Gebete chanten. Die Butterlampen brennen und Weihrauch schwebt in der Luft. Auf den Opfertischen stehen sieben mit Wasser gefüllte Schalen und kleine Tsampafigürchen. Vor dem Kloster waschen Mönche lächelnd von Hand ihre Kleider und Teppiche. Doch unsere Zeitreise in die Vergangenheit wird durch das Klingeln eines Handys jäh unterbrochen und bringt uns zurück in die Gegenwart. Denn auch hier bei den Mönchen hält die Moderne unbarmherzig Einzug.

Die beiden Flüsse Doda und Lungnak vereinen sich nach Karsha zum Zanskar River. Die Einheimischen nennen ihn liebevoll Chadar was soviel wie »Eisplatte«, »Eisstraße«, »Eisdecke« oder einfach »der Vereiste« bedeutet. Früher spielte der Fluss nämlich eine zentrale Rolle im Leben der Zanskari. Die einzige Möglichkeit von Padum in die Hauptstadt Leh zu gelangen um notwendige Dinge zu kaufen sowie ihr Hauptexportgut Yakbutter zu verkaufen, war der Zanskar River. Und zwar im Winter wenn er zugefroren und die Aussentemperatur kaum über minus 30 Grad gestiegen ist. Eine gefährliche, knapp einwöchige Wanderung und ein Leben, das sich heute niemand mehr vorstellen kann und trotzdem keine 50 Jahre zurückliegt. (Bei Interesse an der ganzen Geschichte von Padum und dem Chadar empfehlen wir das Buch "Der gefrorene Fluss" von James Crowden).

Auch wir folgen dem Chadar - auf der neugebauten Strasse - und sinnen über die zähen, waghalsigen Zanskari nach, die jedes Jahr ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben um etwas Geld zu verdienen. Die Schlucht ist spektakulär. Steile Felswände ragen empor und die Sonne mag den Talboden bereits nach dem Mittag nicht mehr zu erreichen. Die provisorische Kiesstrasse wird Jahr um Jahr ausgebaut, die winterlichen Märsche nach Leh von offroadtauglichen Vehikeln abgelöst. Die Welt ist scheinbar kleiner geworden, alles geht schneller, der Handel mit dem Yakbutter hat seine Bedeutung verloren und im Leben der Zanskari gibt es ein Abenteuer weniger...

Nach einer milden Nacht folgen wir noch ein letztes Stück dem Zanskar River. Die Strasse ist schmal und der Zustand verschlechtert sich zunehmendes. Bereits in den 1970er Jahren wurde mit deren Bau begonnen. Doch befahrbar ist sie erst seit Kurzem. Durch die Unruhen zwischen Moslems und Buddhisten, als das buddhistische Zanskar Gebiet der mehrheitlich muslimischen Kargil Region zugeteilt wurde, wurden die Arbeiten bald nach Beginn unterbrochen und erst nach der Beendigung des Kargil Krieges mit Pakistan 1999 wieder aufgenommen. Der imposanten Schlucht des Chadar geht es seither Meter für Meter an den Kragen. Die Felswände, mit all den kunstvollen Gesteinsschichten - Jahrmillionen alt -  werden mit Dynamit weggesprengt. Die Moderne fordert von der einst einsamen Gegend ihr Tribut und verändert deren Aussehen unumkehrbar.

In Nerak, einem kleinen Dorf, das sich etwas oberhalb der Strasse befindet und absolut verlassen wirkt, biegen wir ab auf den Weg hoch zum Singe La Pass auf 4955m. Es gilt 1800 Höhenmeter zu bewältigen! Ein Kraftakt! Die erste Hürde sind die steilen 700 Höhenmeter hoch zum Chochogri La Pass. Tania schiebt... Doch die Belohnung - die Aussicht - schätzt man umso mehr, wenn man weiss, wie viel Schweiss der Anstieg gekostet hat! Gipfel wie Haifischzähne blitzen uns drohend entgegen. Das Gebirge um uns herum ist wild, verlassen und wunderschön. Der Himalaya enttäuscht nicht!

Als Nächstes geht es durch die herbstlich bunt verfärbte Landschaft leicht bergab und wieder 100 Höhenmeter hoch auf den Kong La Pass. Hier inmitten im Nirgendwo auf knapp 4000m, weit weg von anderer Zivilisation, liegt Yulchung. Das Dörfchen besteht aus etwa 20 Häusern. In Zukunft soll die Strasse, die überall noch im Bau ist, die Bewohner des Ortes mit der Gegenwart verbinden. Doch bis dahin lebt man hier ein einfaches Leben ohne Luxus und hängt etwas in der Vergangenheit fest.

Nun folgt der Hauptanstieg. Nochmals 1000 Höhenmeter trennen uns vom Singe La Pass. Die Strasse ist zuerst noch geteert, wird aber bald unbefestigt und sehr steil. Die Bauarbeiten sind im vollen Gange. Die Arbeiter rufen uns ein aufmunterndes "Julley" (Hallo auf Ladakhi) zu. Nicht nur der Fortschritt beim Strassenbau, sondern auch wir kommen sehr langsam voran...  Unsere Kräfte schwinden, die Beine sind müde, die Atmung geht schleppend. Meter um Meter kämpfen wir uns hoch. Immer weiter, bald sind wir da, nur noch 5 Spitzkehren, noch 100 Höhenmeter. Fast geschafft! Nur noch 1 Spitzkehre...

Und dann sind wir wirklich da! Der Singe La Pass. Mit 4955m Höhe hat er uns alles abverlangt. Um uns herum eine karge Bergwelt, nahezu unberührt und einfach wunderschön. Wir sehen namenlose, vergletscherten Gipfel, die in der Abendsonne strahlen. Der böige Wind trägt die Gebete auf den flatternden Prayerflags in den Himmel. Gebirgsdohlen kreisen über unseren Köpfen und lassen sich vom Luft davontragen. Es herrscht eine unglaubliche Stille. Wir verweilen so lange, bis unsere Finger zu Eisklumpen werden und düsen erst dann auf der zuerst geteerten Strasse die sich bald in eine unschön staubige Schotterpiste verwandelt, talwärts um ein Plätzchen für die Nacht zu suchen. 

Kurz bevor die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg über den Berg zu unserem Zelt finden, wachen wir in der schönen einsamen Landschaft auf. In der wohltuenden Morgensonne versuchen wir Frühstück zu essen... Bei Tania mit mässigem Erfolg. Die Verdauung spinnt und jedem Bissen folgt ein kleiner Würgereiz... Es sind knapp 700 Höhenmeter auf den Sir Sir La Pass auf 4800m. Doch schon zu Beginn ahnen wir, dass das kein Zuckerschlecken wird. Nicht bloss die müden Beine, auch Tanias Magen hat sich nicht erholt....Zudem weht ein fieser Wind und die geteerte Strasse ist längst Geschichte. Es gibt nur ein Motto: Auf die Zähne beissen und weiter pedalieren!

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den Sir Sir La Pass. Und verlieben uns sofort. Was für eine Aussicht! Wir sehen zurück zum Singe La Pass, der durch die vereinzelten Sonnenstrahlen magisch ausgeleuchtet wird. Der Wind bläst uns um die Ohren und trägt das wichtigste Mantra der Ladakhi "Om Mani Padme Hum", was soviel bedeutet wie "Oh du Juwel (der Weisheit und des Mitgefühls) in der Lotusblume" über die verlassenen Berggipfel. Hier oben scheinen die Sorgen der Welt und um Tanias Verdauung unendlich weit weg zu sein.

Wir packen uns warm ein und machen uns durch eine unwirklich schöne Landschaft auf den Weg Richtung Tal. Felszacken, wie ein Drachenschwanz, ragen aus dem Boden. Majestätische Gletscher, überhängend und unendlich schön. Ein blassgrauer Fluss am Talboden. Doch die harte Realität holt uns auch hier am gefühlten Ende der Welt ein. Die Mehlpiste auf der unfertigen Strasse macht uns das Leben schwer und staubt uns komplett ein. Adé schöne Aussicht...

Wir erreichen die ersten Dörfchen Hanupatta und Fanjila. Hier ist der Bauboom ausgebrochen. Ein neues Guesthouse wird ans nächste gereiht. Die Dörfler kommen mit Vieh- und Landwirtschaft kaum noch über die Runden, ein neuer Wirtschaftszweig etabliert sich. Segen und Fluch zugleich. Die sich momentan im Ausbau befindende Strasse wird ihnen zu mehr Tourismus verhelfen, das Dorfbild hingegen verliert für immer seinen traditionellen Charakter. Danach führt unser Weg erneut durch eine spektakuläre Schlucht. Die Felswände ziehen sich scheinbar unendlich gegen den Himmel. Und das Beste: Wir rollen wieder! Ab hier ist die Strasse nämlich geteert. Kurz vor dem Dorf Wanla stellen wir unser Zelt auf einer brachliegenden Wiese auf. Tania fällt todmüde auf die Schlafmatte und verpennt das Abendessen.

Als Tania auch am nächsten Morgen auch das Frühstück ausfallen lassen muss, machen wir uns langsam Sorgen. Ist es einfach die Erschöpfung oder hat sie sich was eingefangen? Wir packen zusammen und rollen durch die gelbverfärbten Pappeln, die zum Teil bereits ihre Kleider verlieren, nach Wanla. Im 11. Jahrhundert wurde hier das Wanla Kloster gegründet. Wir besichtigen die schöne, jedoch kaum besuchte Anlage und drehen an den uralten Gebetsmühlen. Die filigranen Holzschnitzereien sind sehr beeindruckend, die handgemalten Bilder unglaublich schön und ein Tag würde nicht ausreichen, um all die detaillierten Abbildungen zu bestaunen, geschweige denn, deren Bedeutung zu verstehen. Einzig die omnipräsenten acht glücksverheissenden Symbole des Buddhismus: Die Endlosschleife, die Lotusblüte, das Muschelhorn, der Sonnenschirm, die goldenen Fische, das Rad des Dharma, das Siegeszeichen und die Schatzvase können wir mittlerweile deuten.

Obwohl Tania weiterhin keinen Bissen herunterbringt, nehmen wir noch einen kleinen Umweg in Kauf. Als wir den Leh-Srinagar Highway erreichen, biegen wir statt rechts Richtung Leh, links nach Lamayuru ab. Nach 400 Höhenmeter und knapp 7 Kilometern erreichen wir das Lamayuru Kloster, auf tibetisch auch das "Ewige Kloster" genannt. Es ist eines der grössten und ältesten Kloster in Ladakh und es wäre eine Sünde gewesen, es nicht zu besuchen. Über 150 Mönche leben noch hier. Die Klosterarchitektur ist einzigartig. Es wurde auf bizarren Lehmformationen erbaut, die den Anschein machen, jederzeit auseinanderzufallen. Wir gesellen uns in den Speisesaal, wo die jungen Mönche, noch im Kindesalter, brav ihr Mittagsessen verzehren. Ganz im Gegensatz zu Tania, der schon beim Geruch des von den Mönchen angebotenen Essens wieder speiübel wird. Einzig Cola scheint ihr Verdauungstrakt zu vertragen.

Also rollen wir mit einer extra Portion Zucker intus talwärts. Wir erspähen wilde Ladakhi Urials (eine Art Steinbock) und dürfen zusehen, wie ein Schreiner in Handarbeit die kunstvollen Holzverzierungen für die Fenster der Ladakhi Häuser anfertigt. Das Wetter hat sich verschlechtert, die ersten Tropfen fallen vom Himmel als wir die Flussmündung von Yaopola und Indus erreichen. Hier ist der Indus im Gegensatz zu Pakistan, noch keine braune Sauce. Trinken möchten wir das Wasser trotzdem nicht... Wir pedalieren noch knappe 30km und campieren direkt am Fluss mit eigenem Sandstrand.

 

Guten Morgen Sonnenschein! Der Himmel ist blau und vom Regen ist kein Tröpfchen mehr übrig geblieben. Wir packen zusammen und machen uns an die letzten 60km und 1300 Höhenmeter bis nach Leh. Auf dem Srinagar-Leh Highway... Mit all den Royal Enfield Touristen, Militärfahrzeugen und unzähligen Militärkasernen... Die Region befindet sich mitten im Streitgebiet von Pakistan und Indien und der Konflikt scheint kein Ende nehmen zu wollen. Bereits nach der Unabhängigkeit beider Staaten 1947 haben sie sich wegen der Region Kashmir die Köpfe eingeschlagen. Die Grenze, die der Brite Radcliffe so schnell schnell gezogen hat, war und ist aus ethnischen Gründen mehr als fragwürdig. Die Waffenstillstandslinie, die nach mehreren weiteren militärischen Auseinandersetzungen im Himalaja am Siachen Gletscher errichtet wurde, ist für beide Staaten inakzeptabel. Die Militärpräsenz ist darum massiv. Wir haben wenig Freude an diesen Militärkonvois, die uns beim Überholen fast umfahren und unseren ersten zähen Anstieg noch etwas mühsamer machen. Vor allem Tania, deren Magen mittlerweile leerer als leer ist, tretet total entnervt und energielos in die Pedale. Der Verdacht einer Giardiasis Infektion verhärtet sich. Gut, dass es in Leh eine Apotheke und Zugang zu moderner Medizin haben wird. Doch vorerst muss der Colazuckerschub reichen. Leh rückt näher. 7 Kilometer. Fast geschafft... Absolut entkräftet kommen wir in unserem Guesthouse, inmitten von den Gomang Stupas ausserhalb vom Rummel, an. Und bereits nach der ersten Dosis Antibiotikum kommt Tanias Appetit langsam zurück. Wurde auch langsam Zeit! 

 

Ob sich Tania erholt und wie es nun weitergeht, erfahrt ihr beim nächsten Mal.

Reisedaten 16.9- 20.9.2024

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Kommentare: 1
  • #1

    Winkler Bruno (Samstag, 29 März 2025 18:17)

    eifach nor onterhaltsam, interessant ond sehr gueti Belder

    LG Bruno