Zu Hause: Der jähe Abbruch unserer Reise geht nicht ganz spurlos an uns vorbei. Wie es weitergeht, erfahrt ihr hier.
Hier sind wir also wieder. Viel früher als erwartet. Nach knapp einem Jahr sind wir zurück in Davos. Gleich unserer Stimmung ist das Wetter trüb. Es regnet und die Gipfel der uns immer noch vertrauten Berge sind aufgrund des Temperatursturzes weiss angezuckert. Was für ein Kontrast zu den eben noch 40 Grad in Dushanbe, Tadjikistan. Und von der ganzen überorganisierten Infrastruktur wollen wir gar nicht reden... Wir ziehen bei Joos Papa in Joos altem Kinderzimmer ein und versuchen, irgendwie anzukommen. Joos unterstützt seine Familie, wo es nur geht. Unzählige Spitalbesuche, Verlegungen, mal ein Schritt voran, mal einer zurück. Dadurch bleibt wenig Zeit, sich über die abgebrochene Reise den Kopf zu zerbrechen. Tania fällt es viel schwerer, sich einzugewöhnen. Auch die tollen Gespräche mit Rahel (Danke) und die schönen Wiedersehen mit unseren Freunden, die uns das Gefühl gegeben haben, nie weg gewesen zu sein, können da nicht helfen. Nach Zelt, Natur und Fahrradfahren ist die Situation in Joos Elternhaus für Tania befremdlich und ihre Gedanken driften immer wieder weit in den Osten, nach Kirgistan wo noch so viele Abenteuer gewartet hätten. Joos Gedanken hingegen bleiben verständlicherweise hier in der Gegenwart bei seiner Familie. Die Spannungen zwischen uns nehmen unausweichlich zu. Wie geht es weiter? Sollen wir unser Gepäck auspacken oder werden wir unsere Reise bald fortsetzen können? Bleiben wir hier? Können wir so noch unbekümmert weitereisen? Die Fragen drehen sich in unseren Köpfen und hängen im Raum neben Enttäuschung über unseren Reiseabbruch und der Ungewissheit, wie es weiter geht.
Da es momentan keine Antworten auf all die Fragen geben wird, fährt Tania zu ihren Eltern in ihre alte Heimat, um sich wieder etwas zu erden. Die familiäre Unterstützung tut gut, vor allem das Wellnessprogramm mit ihrer Mama in Arosa. Danke Mami für die tollen Gespräche und deine bedingungslose Unterstützung. Du wirst immer die Wurzeln meines Baums sein, der mich bei jedem Sturm auf dem Boden hält!
Zurück in Davos zieht Tania vorübergehend bei Martina und Elias, die sich auf grosser Reise durch Zentralamerika befinden, ein (Danke euch, dass ihr mir eure Wohnung überlassen habt und ich ganz für mich wieder zurück zu mir finden konnte!). Ab diesem Zeitpunkt geht es bergauf. Nicht nur in unserer angespannten Beziehung, auch bei der Genesung von Joos Mama scheint langsam ein Licht am Horizont zu erscheinen. Nach sieben Wochen Spital darf sie nach Hause. Und wie bestellt, bessert sich auch das Wetter. Davos präsentiert sich von seiner schönsten Seite, so wie wir unsere Heimat lieben. Fast jeder der uns umrundenden Gipfeln erzählt von einem Abenteuer, das wir zusammen erlebt haben. Und so finden auch wir langsam wieder zusammen und wagen uns, gemeinsame Pläne für die Zukunft zu schmieden.
Nach einer gewaltig schönen Tagestour mit Startpunkt Julierpass (Tourdaten Jenatschhütte) mit Jutta, Bruno und Thomi, bei der wir inmitten des rostrosten Gesteins und des milchig blauen Gletschersees fast daran zweifeln, wirklich zurück in der Schweiz zu sein, starten wir ein kleines Bikepackingabenteuer in unserer Heimat.
Mit etwas Unterstützung der Rhätischen Bahn und den Postautos, BÜGA Sommeraktion sei dank, entdecken wir den Kanton Graubünden. Und einmal mehr wird uns klar, dass wir an einem der schönsten Orte der Welt wohnen. Wilde Gletscher, wunderschöne Gipfel und idyllische Bergseen. Das Kirgistan in Europa sozusagen, nur etwas kleiner und etwas dichter besiedelt... Die Schweiz braucht sich definitiv als Reiseland nicht zu verstecken. Und was in Zentralasien (Hier gehts zu unseren Berichten über Zentralasien) mühsam und zeitintensiv ist, ist hier ein Kinderspiel. Die Planung eines Bikepackingtrips, braucht nicht unendliche viele Nerven und Diskussionen sondern wir durch die zahlreichen Informationen im Netz und den zuverlässigen öffentlichen Verkehrsmitteln unproblematisch. Wo ein Weg eingezeichnet ist, ist auch einer und der Nahrungsmittelnachschub muss auch nicht mehr dem Zufall überlassen werden. Also machen wir uns unbesorgt mit der rhätischen Bahn und dem Postauto auf den Weg nach Samnaun. Dort pedalieren wir aufwärts an der schweiz-österreichischen Grenze entlang und folgen der Tour Richtung Fimberpass. Unsere während fast einem Jahr tägliche Abendroutine ist trotz Unterbruch immer noch präsent. Zelt aufstellen, eine kurze Dusche mit dem Bidon, Abendessen kochen, geniessen... Begleitet vom Kuhglockengebimmel bestaunen wir den Sonnenuntergang und die herrliche Abendstimmung auf dem Berg und sind dankbar, dass wir wieder draussen in unserem zu Hause, unserem Zelt, sein können.
Die Abfahrt vom Fimberpass (Tourdaten Fimberpass) am nächsten Tag übertrifft unsere Erwartungen. Ein abwechslungsreicher Trail, der vor allem gegen Ende ziemlich technisch wird und nochmals unsere volle Konzentration fordert, bringt uns nach Scuol. Hier fahren wir mit der Bahn und mit dem Postauto hoch zum Ofenpass. Der Schweizer Nationalpark ist, wie wir bereits mehrmals erfahren durften, unglaublich schön und wild und kommt am ehesten an dieses unbescheiblich schöne Freiheitsgefühl, welches wir zuletzt in den Fan Mountains in Tadschikistan erlebt haben, heran.
Am nächsten Morgen früh schultern wir unsere Bikes und machen uns auf den Weg zum Piz Daint (2968m). Wir haben diesen Gipfel bereits einmal im Winter mit unseren Splitboards bestiegen und wollen nun herausfinden, ob er auch biketauglich ist. Die Aussicht von oben ist jedenfalls atemberaubend, auch im Sommer. Wir überblicken das schöne Münstertal und erspähen der weissen Ortler in der Ferne. Die Abfahrt ist dann aber eher nur für sehr gute Fahrer gedacht. Während Joos den steilen Schotterweg problemlos meistert, muss Tania doch öfters absteigen und abwärts schieben. Ganz so wie auf unseren Bikepacking Touren im Osten...Auch dort war nicht jeder Trail eine Perle...Aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt... Weiter unten wird der Trail dann zum wahren Vergnügen und die Tour vom Ofenpass runter ins idyllische Dorf Müstair mit seinem bekannten Kloster ist Flow pur (Tourdaten Piz Daint/Münstertal). Als Belohnung für die Mühen und zur Lockerung der verkrampften Muskulatur wartet in Müstair auf dem Campingplatz Muglin eine gut eingeheizte Sauna auf dem Heustock, eine warme Dusche und eine Flasche Rotwein auf uns. Ein Luxus sondergleichen!
Von Müstair shutteln wir mit dem Postauto auf der wohl spektakulärsten Postauto Route der Schweiz auf den Umbrail Pass. Wie der Chauffeur das riesige Postauto samt Veloanhänger durch diese engen Spitzkehren manövrieren und dabei noch die Fahrgäste mit lustigen Pointen unterhalten konnte, ist uns ein Rätsel... Einen solch talentierten Fahrer hätten wir uns in Tadschikistan gewünscht, dann wäre Joos Fahrradlenker (hier gehts zur Story) wohl noch ganz... Von der Passhöhe geht es für uns mit dem Fahrrad weiter und nach 500 Höhenmeter Aufstieg stehen wir auf dem 3032m hohen Piz Umbrail (Tourdaten Piz Umbrail). Die Aussicht unbezahlbar, der Trail runter technisch, lose und fordernd aber sehr spassig... Wir machen einen Stopp am bezaubernden Lej da Rims und mit den vor dem See grasenden Pferden, erinnert uns das Bild sogar ein bisschen an die Fotos aus unseren zentralasiatischen Reiseführer...
Wir ziehen weiter, fahren durch das wilde Val Mora und über den Passo Trela Trail Richtung Livigno. Mit Postautounterstützung shutteln wir auf den Bernina Pass (Tourdaten Ofenpass-Passo Trela- Livigno) und stellen dort mit Aussicht auf den imposanten Cambrena Gletscher und den spektakulären Bianco Grat unser Zelt oberhalb der Passstrasse auf. Wären da nicht die Stromleitungen und der Autolärm, wär es bestimmt auch in Krigistan nicht schöner...
Nach einer durch ein Unwetter geprägten, unruhigen Nacht fahren wir durch das Val Minor auf einem herrlich technischen Trail runter zur Diavolezza Station, erklimmen mit der rhätischen Bahn ein zweites Mal den Berninapass und rauschen auf dem La Rösa Trail hinunter nach Poschiavo. Nach einem extrem günstigen Espresso bringt uns die Rhätische Bahn ein letztes Mal zurück auf den Bernina Pass. Über uns braut sich etwas zusammen... Die Wolken werden dichter und bedrohlicher, wir lassen die Bremshebel offen, düsen auf dem Flowtrail auf schnellstem Weg ins Tal und schaffen es gerade noch rechtzeitig in Samedan in den Zug einzusteigen, der uns trocken und nach einem Liter Bier pro Person etwas angeschwipps zurück nach Davos bringt (Tourdaten Val Minor-la Rösa).
Nach diesem Abenteuer ist uns klar: Wir wollen mehr davon! Wir wollen zurück nach Zentralasien und auch dort per Bikepacking die Umgebung erkunden. Wir wollen draussen sein, bei Wind und Wetter! Wir wollen Trails fahren, uns ärgern, wenn er Scheisse ist und uns umso mehr freuen, wenn wir ein kleines Juwel entdecken. Wir wollen die Natur hautnah erfahren, die Abgeschiedenheit geniessen und uns abends in unsere warmen Schlafsäcke kuscheln. Wir wollen keinen Luxus und brauchen nicht mehr, als wir auf unsere Fahrräder packen können. Wir wollen all das, was wir hier in den den letzten Tagen erlebt haben. Aber nicht jetzt...Jetzt ist uns wohler, wenn wir (noch) nicht allzu weit von zu Hause entfernt sind. Und um all unsere Pläne zu verwirklichen, brauchen wir Zeit und nicht nur noch knapp einen Monat, bevor die Temperaturen in Zentralasien in den Keller sinken und der Schnee die meisten Pässe unpassierbar macht... Und so beschliessen wir, unsere Pläne etwas anzupassen und schweren Herzens dieses Jahr nicht mehr zurück in den Osten zu fliegen. Manchmal ist einfach (noch) nicht der richtige Zeitpunkt.
Damit wir etwas mobiler werden, machen wir uns auf die Suche nach einem motorisierten fahrbaren Untersatz. Gemeinsam mit Tanias Papa werden wir im Kanton Bern fündig. Ein etwas betagte Renault Kangoo entspricht genau unseren Vorstellungen und unserer Preisklasse. Wenig später sind wir Besitzer von Röné, der uns (hoffentlich) in den nächsten Monaten zuverlässig umherkutschieren wird. Der Campingausbau ist schnell erledigt. Die Box aus unserem letzten Auto passt ohne Abänderung hinein. Schnell noch ein paar Vorhänge genäht, etwas Dekomaterial und (sehr wichtig) viele Lichterketten montiert und wir sind startklar. Also nicht ganz... Der Dachträger ist dummerweise nicht mit unserem Veloträger kompatibel... Im Osten hätte man sicherlich etwas gebastelt.. Und es hätte bestimmt genauso gut funktioniert... Aber in der Schweiz scheint es uns sinnvoller zu sein, einen geprüften Dachträger zu kaufen, der bei allfälligen Kontrollen nicht zu unnötigen Diskussionen führt...
Während wir also auf den neuen Dachträger warten, geniessen wir nochmals Zeit mit unseren Freunden in unserer Heimat. Wir unternehmen mit Fleur und Roby eine tolle zwei Tages Tour (Tourdaten Furcola Surlej/Piz Languard; Tourdaten Alp Grüm Spezial; Tourdaten Bernina Spezial) im Engadin mit einer Übernachtung in der auf 3175m hohen Chamana Georgy unterhalb des Piz Languard. Neben der fantastischen Aussicht auf den Piz Palü, dem wunderschönen Sonnenunter und -aufgang, den lustigen Würmli Spieleabend und den tollen Trails, werden uns auch die vielen (Nackt-)Badestopps in guter Erinnerung bleiben. Wir geniessen das leckere Essen bei Miri und Phipsi und die erste Begegnung mit ihrem Nachwuchs Yuval, wandern mit Marcel auf den Muchetta, und fangen uns beim steilen Abstieg hässliche Blasen ein, lassen uns von Joos Schwager Michi fürstlich bekochen, sammeln Eierschwämmli, Steinpilze und Himbeeren, bis wir sie nicht mehr sehen können, nutzen das gute Wetter für Grillparties bei Kellers oder Regina, üben uns in der Villa Zauberberg im PingPong und testen nach der Besteigung des Flüela Weisshorn und einer verblockten Abfahrt einen neuen (Nackedei) Badesee mit Bruno und Jutta im Vereina Tal. Die Zeit verfliegt wie im Flug und schon ist Mitte September...
Was wir nun gemeinsam mit Röné anstellen, erzählen wir euch beim nächsten Mal.
Daten: 26.7 - 14.9.2023
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Mam (Samstag, 21 Oktober 2023 08:47)
Familie ist wie ein Baum.Die Zweige mögen in unterschiedliche Richtungen wachsen,doch die Wurzeln halten alles zusammen.
Wünsche euch weiterhin eine erlebsnisreiche Reise.